Emulgatoren und Stabilisatoren kommen nicht nur in Lebensmitteln vor, sondern auch in zahlreichen Arzneimitteln. Forscher zeigen jetzt, dass die Stoffe im Mausmodell Darmkrebs begünstigen. Lassen sich ihre Resultate auf Menschen übertragen?
Nicht nur Eis oder Mayonnaise haben es in sich. Pharmazeutische Hersteller setzen Hilfsstoffe wie Polysorbat-80 (P80, E 433) beziehungsweise Carboxymethylcellulose (CMC, E 466) auch bei Dermatika, Tabletten und Kapseln ein. Die Emulgatoren stehen schon länger im Verdacht, unsere Darmflora negativ zu beeinflussen.
Bereits im Jahr 2015 hat Andrew Gewirtz aus Atlanta, Georgia, gezeigt, dass Emulgatoren bei Mäusen die Mukosa-Barriere im Darm schädigen. Der Forscher kritisiert, Tests von Herstellern würden sich vor allem auf akute Toxizitäten und Krebsrisiken beschränken. Gleichzeitig diagnostizieren Ärzte entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer häufiger. Die Erkrankungen werden mit Störungen der Schleimbarriere in Verbindung gebracht. Gewirtz sieht hier bislang unbekannte Effekte von Emulgatoren. Seine Hypothese, dass es zu Veränderungen der Mikrobiota kommt, konnte er experimentell bestätigen. Emulgatoren zeigten bei Mäusen, die keimfrei aufwuchsen, keinerlei Effekt. Übertrug Gewirtz Proben der Darmflora von normal gehaltenen Mäusen, die Emulgatoren erhalten hatten, auf keimfreie Tiere, traten niederschwellige Entzündungen im Darm auf. Jetzt hat die gleiche Arbeitsgruppe untersucht, welchen Einfluss Polysorbat-80 und Carboxymethylcellulose auf das Wachstum von chemisch induzierten Darmtumoren haben. Ihr Fazit: Veränderungen der mikrobiellen Darmflora durch Emulgatoren reichten aus, um das Tumorwachstum im Tiermodell zu beschleunigen. Was sagen Experten zu den Studienergebnissen?
„Es ist bekannt, dass CMC und P80 zu den unverdaulichen Nahrungsbestandteilen gehören“, erklärt Dr. Anna Kipp vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DifE). Fremdstoffe gelangen bis in tiefere Darmabschnitte und verändern die Mikrobiota. „Die aktuelle Studie führt die vorherige logisch fort, da bekannt ist, dass eine niedriggradige Entzündung des Darmepithels das Darmkrebsrisiko erhöht. Dies konnte – wie zu erwarten – gezeigt werden“, so Kipp weiter. Für sie ist der Einfluss chronisch-entzündlicher Prozesse auf das Tumorwachstum „klar belegt“. Auch der Zusammenhang zwischen Veränderungen der Mikrobiota und entzündlichen Prozessen im Darm sei bekannt. Diese Prozesse würden durch Emulgatoren verstärkt. „Dies führt dann folgerichtig zu vermehrten Tumoren“, schlussfolgert die Expertin.
Anna Kipp sieht aber auch Schwachpunkte: „Die Zahl der untersuchten Mäuse ist mit einer Gruppengröße von fünf bis acht beziehungsweise zehn relativ klein für ein Krebsmodell.“ Generell seien Nagetiere für Studien der Mikrobiota keine besonders guten Modellorganismen. Die Forscherin spricht von „relevanten Unterschieden in der Zusammensetzung und Lokalisation“, verglichen mit Menschen. „Es wäre also zunächst wichtig, zu untersuchen, ob sich die in der Maus gefundenen Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen“, fordert die Wissenschaftlerin.
Professor Dr. Daniel Dietrich. Quelle: Universität Konstanz Professor Dr. Daniel Dietrich von der Universität Konstanz weist auf eine weitere Schwachstelle hin. Mäuse, die Emulgatoren erhalten hatten, produzierten deutlich weniger Gallensäuren. Erklärungen bleiben die Autoren schuldig. „Erhöhte Mengen an Gallensäure erhöhen die Schleimschicht und vermindern so das Risiko einer Infektion mit entzündungsfördernden Bakterien“, kommentiert Dietrich. „Da die gesamte Krebsstudie auf der Tatsache basiert, dass die Emulgatoren bei Mäusen zu einer verminderten Gallensäure-Ausscheidung im Dickdarm und somit zu einer verminderten Dickdarmschleimdicke führt, müsste zuerst verstanden werden, wie diese Verminderung der Gallensäure-Ausscheidung durch kleinste Mengen Emulgatoren zustande kommt und ob diese Mechanismen auch beim Menschen vorliegen. Erst dann kann über eine Relevanz der Befunde für den Menschen diskutiert werden.“ Ihm fehlen außerdem Informationen zum Einfluss von Ethanol. „Leider verwendeten die Autoren keine Alkohol-Kontrollgruppe, anhand derer man die Effekte geringer Mengen Alkohol in Lebensmitteln auf den Gallenfluss, die Dickdarmschleimschicht und die mikrobielle Flora hätte untersuchen können“, moniert Daniel Dietrich. „In Anbetracht der Tatsache, dass seit Jahrhunderten Alkohol zur Konservierung von Lebensmitteln verwendet wird und die tägliche Aufnahme geringer Mengen Alkohol bereits regelmäßiger Bestandteil wie zum Beispiel der mediterranen Ernährung ist, wäre dieses Kontrollexperiment unabdingbar gewesen.“
Damit bleiben erste Anhaltspunkte für weitere Studien. Für politische Forderungen ist die Zeit noch nicht reif. Über niedrigere Grenzwerte wollen weder Anna Kipp noch Daniel Dietrich sprechen. Bei P80 liegt das Limit derzeit 10 mg/kg Körpergewicht, während für CMC kein Grenzwert existiert.