Wer bereits einmal eine Reise auf die andere Seite der Welt angetreten hat, kennt die Tücken, die ein Jetlag mit sich bringt: Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und ein gestörter Schlafrhythmus. Das Medikament Melatonin verspricht, einen Jetlag schnell in den Griff zu bekommen. Doch ist das wirklich so?
Urlaub mit Startschwierigkeiten
Besonders in den Sommerferien brechen die Deutschen zu fernen Reisen auf. Doch traumhafte Urlaubsziele auf der anderen Seite der Erdkugel bringen häufig einen nervigen Umstand mit: Den Jetlag, der aus den unterschiedlichen Zeitzonen auf dem Globus resultiert.
Ein gestörter Schlafrhythmus, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen sind die Folge und machen aus einem erholsamen Urlaubsstart einen eher kraftraubenden Akt. Doch es gibt Abhilfe. Damit die ersten Tage des Urlaubs nicht ins Wasser fallen, kann das Hormon Melatonin – so zumindest erklärt es die Pharmaindustrie – Abhilfe verschaffen.
Speziell in den USA wurde das Medikament in den neunziger Jahren als Wundermittel angepriesen. Doch nicht nur Schlafstörungen sollten durch Melatonin bekämpft werden. Melatonin wirke sich auch positiv auf Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus, verlangsame den Alterungsprozess und reguliere das Immunsystem, so lauteten die vielverheißenden Versprechungen.
Aber was sagt die Studienlage zu diesem Thema? Zumindest deuten Tierversuche und erste Studien beim Menschen darauf hin, dass Melatonin tatsächlich viele der genannten positiven Wirkungsbereiche mitbringe. Gesicherte, also evidenzbasierte Daten sind bisher aber Mangelware. Aber dennoch: Da Melatonin – in der Regel – nicht schädlich ist, kann ein Selbstversuch kaum schaden.
Melatonin gegen Jetlag
Melatonin ist ein Botenstoff und Antioxidans. „Unter einem Antioxidans versteht man eine niedermolekulare Gruppe oder ein Enzym, die/das den Organismus vor reaktiven Sauerstoffspezies und damit vor oxidativem Stress schützen soll“, so lautet die gängige Definition. Und Melatonin findet man ganz natürlich im menschlichen Organismus vor.
Wenn es dunkel wird, startet die sogenannte Zirbeldrüse die Ausschüttung von körpereigenem Melatonin und entfacht so die allseits bekannte Müdigkeit. Der Melatonin-Spiegel im Blut steigt über die Nacht an und flacht nach dem Erreichen des Höhepunkts, zumeist zwischen zwei und drei Uhr, wieder ab. Durch Lichtaufnahme, zum Beispiel am Morgen durch Sonnenlicht, wird die Produktion wiederum gehemmt. Die Folge ist ein geregelter 24-Stunden-Circadianen-Rhythmus, unser Schlafrhythmus.
Bei einer Reise in eine andere Zeitzone wird dieser Rhythmus jedoch durcheinandergebracht und es kommt zu Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit. Diese als Jetlag bekannten Erscheinungen können mithilfe des Medikamentes Melatonin aber effektiv bekämpft werden, übrigens ebenso wie chronische Schlafstörungen. Placebo-kontrollierte klinische Studien zeigen, dass bei Patienten mit Schlafstörungen eine Dosis von 2-5 mg bereits ausreichend war, um
· die Einschlafzeit zu verkürzen,
· die Dauer des Schlafs zu verlängern
· und die Schlafqualität signifikant zu verbessern.
Zusätzlich wurden die Tiefschlafphasen und die REM-Phasen (Traumphasen) nicht beeinträchtigt, wie es bei stärkeren Schlafmitteln häufig der Fall ist. Bei einem Jetlag zeigten die Studien, dass bei einem gesunden Erwachsenen bereits 0,5 mg Melatonin ausreichend waren, um den geregelten Circadianen-Rhythmus wiederherzustellen.
Anwendungsangaben
Anwendung
Beschreibung
Dosierung und Einnahme
0,5 mg sind bei einem Jetlag in der Regel ausreichend. Wenn die Einschlafzeit verkürzt werden soll, empfehlen sich 1-2 mg.
Die Einnahme sollte frühestens 1 Stunde vor dem Schlafengehen erfolgen.
Kombination
Vitamin D, Magnesium und Zink unterstützen den Mineralienhaushalt und erleichtern dem Körper die Aufnahme von Melatonin.
Nicht kombinieren
Desipramin und Fluoxetin sollten mit Melatonin nicht kombiniert werden, da sie die Wirkung von immununterdrückenden Wirkstoffen abschwächen können.
Nebenwirkungen
Bei einer korrekten Anwendung sind für gewöhnlich keine Nebenwirkungen zu erwarten. In seltenen Fällen kann es allerdings zu Reizbarkeit, Nervosität, Rastlosigkeit, Insomnie, Migräne, Lethargie oder Hypertonie kommen.
Bei falscher Anwendung zeigen Studien, dass ein Tumorwachstum teilweise verstärkt wurde.
Zu beachten
Nicht tagsüber einnehmen, da sonst der natürliche Schlafrhythmus gestört wird.
Wirkungsbereiche von Melatonin
Wirkungsbereich
Schlafstörungen und Jetlag
Wie bereits erwähnt, ist Melatonin ein äußerst effektives Mittel gegen Schlafstörungen. Ebenfalls lässt sich ein Jetlag nach einem Flug in eine andere Zeitzone erfolgreich vermeiden. Auch ein unregelmäßiger Schlafrhythmus durch Gründe wie Schichtarbeit lässt sich effektiv kompensieren. Der körperliche Circadianen-Rhythmus kann mit dem Medikament zügig in geregelte Bahnen gelenkt werden.
Antioxidans
Melatonin fängt Freie Radikale, zellschädigende Stoffwechselschädlinge, ab und vernichtet sie. Im Vergleich zu anderen Antioxidantien besitzt Melatonin den Vorteil, sowohl fett- als auch wasserlöslich zu sein. So bietet das Hormon einen effektiven Gesamtschutz vor Freien Radikalen. Es aktiviert zudem die körpereigene Produktion von weiteren antioxidativen und entgiftenden Enzymen.
Krebs
Die genaue Wirkung von Melatonin auf den Krankheitsverlauf bei Krebs ist bisher nicht eindeutig bewiesen. Jedoch konnten Ergebnisse von zwei Meta-Analysen von über zehn randomisierten klinischen Studien aufzeigen, dass bei zusätzlicher Verabreichung von Melatonin die Remissionsrate sowie die Überlebensrate signifikant steigen. Ebenfalls wurden die Nebenwirkungen der Chemotherapie gemindert.
Dem widersprechen jedoch weitere Studien zur Krebsbehandlung mit Melatonin.
Als Ersatz für eine Krebstherapie ist das Medikament beim derzeitigen Kenntnisstand aber nicht geeignet.
Anti-Aging und Alterungsprozess
Klinische Studien zum Erfolg von Melatonin in diesem Sektor sind bisher nicht vorhanden. Allerdings hilft der wundersame Botenstoff bei der Reparatur von erbguttragender DNA und bei der Regulierung des Immunsystems.
Bei Tierversuchen mit Melatonin konnte die Lebenszeit der Tiere teilweise erheblich verlängert werden. Allerdings fehlen auch hier die Studien im Humanbereich.
Depressionen und Ängste
Bei der Behandlung von Depressionen kommt ein vom Melatonin abgewandelter Wirkstoff namens Agomelatin zum Einsatz. Die Wirkung von Melatonin selber im Kampf gegen Depressionen ist marginal. Allerdings eignet sich das Hormon bei Angstzuständen zum Beispiel vor einer bevorstehenden Operation zur leichten Sedierung.
Immunsystem
Bei Tieren konnte durch den Einsatz von Melatonin eine antibakterielle Wirkung erzielt werden. Impfungen wurden zudem effektiver. Allerdings fehlen erneut Kenntnisse über die tatsächliche Wirkung beim Menschen.
Reizdarmsyndrom
Bei Personen, die unter dem Reizdarmsyndrom leiden, konnten hingegen deutliche Erfolge bei der Verabreichung von Melatonin erzielt werden. Die Schmerzempfindungen im Bauchraum waren rückgängig und die Lebensqualität stieg spürbar an.
Tinnitus
Im Kampf gegen das Piepen oder Pfeifen im Ohr besitzt Melatonin nur eine unterstützende Wirkung. Das Einschlafen kann vereinfacht und die Schlafqualität gesteigert werden, eine therapierende Wirkung wird allerdings nicht erzielt.
Wundermittel oder überbewertet?
Das Hormon Melatonin besitzt eine vielfältige Wirksamkeit und kann klare Erfolge in der Bekämpfung von Schlafstörungen und Jetlags aufweisen. Darüber hinaus existieren allerdings wenig gesicherte Erkenntnisse im Sektor der Human-Medizin.
Erfolgreiche Tierversuche und vereinzelte Erfolge bei menschlichen Patienten klingen zwar vielversprechend, ohne ausführliche und tiefgehende Forschungen zu der Wirkung von Melatonin lassen sich aber unmöglich Schlussfolgerungen zur Anwendung des Botenstoffes ziehen. Die Forschung ist gefragt.
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