Angeblich leben wir in einem Zeitalter der Transparenz. Bei der Todesursache werfen die Medien aber gerne Nebelkerzen. Statt „X starb an“ umfloren uns Floskeln wie „nach kurzer schwerer Krankheit“ oder „nach langer schwerer Krankheit“. Ist das Pietät oder Feigheit vor dem Tod?
Es gibt nicht viele Gewissheiten auf dieser Welt, aber eine sticht heraus: nämlich die, dass alle Menschen sterblich sind. Der Tod ist kein dramaturgisches Element von Game of Thrones – der Tod ist real. Umso erstaunlicher ist es, dass Todesursachen weiterhin so verschämt kommuniziert werden, als könne man den Tod durch die gezielte Nicht-Erwähnung der Worte „Krebs“, „Hirnschlag“ oder „Herzinfarkt“ ausbremsen.
Die Euphemismen der Saison sind „kurze schwere Krankheit“ und „lange schwere Krankheit“. Diese Formeln klingen pietätvoll, in Wirklichkeit aber sind sie perfide. Sie funktionieren ähnlich wie die Duschvorhangszene in Hitchcocks „Psycho“: Sie lösen eine unvermeidliche Assoziationskette aus, die im Kopf in rascher Schnittfolge alle letalen Pschyrembel-Einträge abruft. Wer den Tod so mysteriös umschreibt, kippt ihn einfach auf die gesellschaftliche Verdrängungsdeponie.
Aber nicht nur bei den Todesursachen wird verbal getrickst, auch beim Sterben selbst. Ich habe mich immer gefragt, was der Unterschied zwischen „sterben“ und „versterben“ ist. „Sterben“ klingt noch einigermaßen anstrengend, „versterben“ nach einem mühelosen, halbfetten Lätta-Abschied. Noch schlimmer finde ich allerdings das schaumstoffgedämmte „entschlafen“, das uns vormacht, dass das Sterben wie ein angenehmes Mittagsnickerchen daherkommt.
Ich glaube, die zunehmende semantische Verklärung des Todes ist ein Zeitsymptom. Wenn es Apps zur automatischen Pickel- und Faltenentfernung von Selfies gibt, muss auch der Tod eine Zielscheibe der digitalen Retusche werden.
Konsequenterweise findet auch bei Facebook der Tod nicht mehr statt, das binäre Profil darf in einer Art Zombie-Existenz weiterleben. „Antrag auf Herstellung des Gedenkzustandes“ nennt sich das dann. Bald erkennt man Verstorbene im Internet nur noch daran, dass sie seltener Urlaubsfotos posten.
Weg damit. Der Tod ist kein Makel, für das man sich schämen muss. Diagnosen können genannt werden – sie werden ohnehin vermutet. Beim verquasten Neusprech der Bestatter (auch der Journalisten) ist eine Überholung fällig. Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt, die Nennung der Todesursache ebenso zur Vita wie die Angabe des Geburtsgewichts. Meinetwegen sogar mit ICD-Code.