„Problematische Smartphone-Nutzung“ ist inzwischen ein psychologischer Fachbegriff. Immer mehr Menschen sind abhängig und leiden an Konzentrationsschwierigkeiten. Jetzt reagieren Smartphone-Hersteller auf das pathologische Verhalten und suchen selbst nach Lösungen.
Zigarettenhersteller müssen auf ihren Produkten Gesundheitswarnungen mit Gruselbildern drucken. Muss mit ähnlichen Warnhinweisen bald auch auf Smartphones gerechnet werden? Einige Hersteller untersuchen bereits die exzessive Smartphone-Nutzung ihrer Kunden und die damit verbundenen Gefahren. Das Unternehmen Motorola befragte online 4.418 Smartphone-Nutzer in den USA, in Brasilien, Indien und Frankreich. Es nahmen User zwischen 16 und 65 Jahren teil. Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie stark Handys die Lebensführung beeinflussen. Wissenschaftlich begleitet wurde die Studie von der Psychologin Dr. Nancy Etcoff von der Harvard University.
Ein Drittel der Befragten gab an, sich lieber mit dem Smartphone zu beschäftigen, als mit Menschen aus dem engeren Umfeld. Besonders drastisch ist die Lage bei der Generation Z – damit sind Jugendliche die etwa von 1995 bis 2010 zur Welt kamen. 53 Prozent der Teilnehmer aus dieser Generation beschreiben das Smartphone als ihren besten Freund. Dabei findet durchaus eine kritische Eigenreflexion statt: Rund 60 Prozent aller Betroffenen beurteilen ihr Verhalten als problematisch und wünschen sich einen Lebensbereich ohne Smartphone. Zahlreiche Nutzer leiden unter dem zwanghaften Einschalten ihres Geräts, jeder Zweite bekennt sich zu diesem Fehlverhalten. Zwei Drittel der Befragten geben an, Panik zu empfinden, wenn das Smartphone verloren wurde. Bei den jüngeren Nutzern ist dieser Wert mit 75 Prozent sogar noch höher. Ein Drittel der Befragten denkt schon über die nächste Handynutzung nach, wenn das Smartphone gerade nicht in Benutzung ist.
Um Nutzer auf die immer größer werdende Abhängigkeit hinzuweisen, hat Motorola einen Online-Fragebogen erstellt. Darin wird das Nutzungsverhalten mit zehn einfachen Fragen analysiert: Wo liegt das Smartphone beim Essen? Wird auch auf dem Klo gesurft? Welche Reaktionen ruft ein bevorstehendes Wochenende ohne Handy hervor? Auch bieten sie eine „Phone-Life-Balance“-App an, die Usern in 60 Tagen einen bewussteren Umgang mit ihrem Gerät angewöhnen soll. Beispielsweise weist sie Nutzer auf Blocker für Benachrichtigungen hin, die gegen das häufig zwanghafte Überprüfen auf neue Nachrichten helfen sollen. Wer glaubt, nur die Generation Z ist betroffen, der irrt.
Nach einer Studie von McDaniel et al. leiden Kinder unter der Handynutzung ihrer Eltern. Wenn die Kinder im Sandkasten Kuchen backen, schauen Mama und Papa aufs Handy. Dieses Verhalten könne zu einer Störung der Eltern-Kind-Beziehung führen. Eltern, die viel Zeit mit digitalen Medien oder vor dem Fernseher verbringen, statt sich mit ihrem Nachwuchs zu beschäftigen, können der Studie zufolge Verhaltensauffälligkeiten bei ihren Kindern fördern. Kinder fühlen sich ignoriert, sie können frustriert, hyperaktiv oder mit Wutanfällen reagieren, so die Studienergebnisse. Die Psychologen warnen vor einem Teufelskreis. Ein anstrengendes Kind verleitet die Eltern wiederum zu einem noch stärkeren Medienkonsum. Für die Studie wurden 183 Elternpaare mit Kindern unter fünf Jahren über sechs Monate hinweg online befragt. Besonders beim gemeinsamen Essen, Spielen oder beim Zubettbringen des Nachwuchses ist es wichtig, auf die emotionalen Bedürfnisse der Kinder ohne Ablenkungen einzugehen, so die Studienautoren.
Auch die kognitive Leistungsfähigkeit kann leiden, selbst dann, wenn das Handy gar nicht aktiv genutzt wird. Professor Adrien Ward von der McCombs School of Business an der University of Texas in Austin führte verschiedene Experimente mit annähernd 800 Smartphone-Nutzern durch. Es ist die erste Studie, in der festgestellt werden sollte, wie gut Aufgaben erledigt werden können, wenn das Smartphone in der Nähe liegt – auch dann, wenn es gar nicht eingeschaltet beziehungsweise auf stumm gestellt ist. Vor Teststart wurden die Teilnehmer in drei unterschiedliche Gruppen eingeteilt. Die Teilnehmer der ersten Gruppe sollten ihre Smartphones auf den Tisch legen – und zwar mit dem Display nach unten. Die zweite Gruppe musste das Gerät in ihre Tasche stecken und eine dritte Gruppe sollte es in einen anderen Raum legen. Alle Teilnehmer mussten ihre Smartphones auf stumm stellen. Die Forscher beobachteten, dass jene Teilnehmer, die ihr Smartphone in einem anderen Raum abgelegt hatten, die anderen Teilnehmer bei den Testaufgaben deutlich übertrafen. Der Unterschied war besonders stark zu den Teilnehmern, die ihre Smartphones auf dem Tisch liegen hatten. Etwas weniger auffällig war er im Vergleich zu den Teilnehmern, die ihre Smartphones in der Tasche verstaut hatten. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die bloße Gegenwart des Smartphones die verfügbare kognitive Leistungsfähigkeit reduziert und kognitive Funktionen beeinträchtigt – auch bei Personen, die glauben, sie würden ihre volle Aufmerksamkeit der augenblicklichen Aufgabe widmen. „Es ist also nicht die Ablenkung des Smartphones etwa durch hereinkommende Nachrichten“, sagte Ward. „Schon die bloße Anwesenheit des Smartphones genügt, um die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu drosseln.“
Doch nicht nur die Kognition leidet: Smartphones, Tablets und Laptops emittieren hochenergetisches sichtbares Licht (HEV). Dieses Hochfrequenzlicht strahlt im blau-violetten Spektrum mit Wellenlängen von 400 bis 500 Nanometern. Zum Vergleich: Während UVC-Strahlen nur in den Epidermisbereich der Haut und UVB-Strahlen bis in die Basalzellschicht eindringen, gelangt HEV-Licht noch tiefer in die Hautschichten. Mögliche Nebenwirkungen können vorzeitige Hautalterung, Vergrößerung der Poren sowie zunehmende Pigmentierung sein. HEV-Licht fördert die Bildung von freien Radikalen. Die wiederum zerstören die komplexen Zellstrukturen und unterbinden die Kollagen- und Elastinbildung. Die Bildung freier Sauerstoffradikale trägt zusätzlich zur Hautalterung bei, so das Ergebnis einer Studie von Liebel et al.. In einer Studie von Logue et al. wurden Schaufensterpuppen im Freien der Strahlung unterschiedlicher Geräte ausgesetzt. Die Autoren untersuchten hauptsächlich Apple-Geräte. iPads erhöhen die Belastung um 85 Prozent, ein MacBook um 75 Prozent und ein nah an das Gesicht gehaltene iPhone um 36 Prozent. Die Industrie hat das Problem erkannt: Es gibt mittlerweile Brillen, Kontaktlinsen, Cremes und Bildschirmfilter, die Haut und Augen vor HEV-Licht schützen sollen. Zu viel ultraviolettes und blau-violettes Licht kann nämlich auch die Augen schädigen. Nicht nur kann es zu schmerzhaften Entzündungen der Binde- und Hornhaut führen, sondern auch zu chronischen Schäden, wie Schädigungen der Augenlinse. Auch das Risiko für eine Makuladegeneration erhöht sich, so das Ergebnis einer Studie von Shang et al..
Neben Licht spielen auch Bakterien eine Rolle: In einer Studie der University of Surrey wurden 40 Mobiltelefone von Patienten, Pflegepersonal, Laboranten und Ärzten auf bakterielle Kontamination untersucht. Die Hälfte dieser Handys besaß einen Touchscreen, die andere Hälfte Keypads. Es zeigte sich, dass alle getesteten Mobiltelefone mit gemischten Organismen kontaminiert waren. Bei isolierten Organismen konnten in 53 % der Proben Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) nachgewiesen werden, gefolgt von Koagulase-negativen Staphylokokken (KNS) (50 %), Diphtheroiden (30 %), Methicillin-sensiblen Staphylococcus aureus (MSSA) (18 %), E. coli und Viridans-Streptokokken (je 13 %), Mikrokokken (10 %), Klebsiella pneumoniae und ESBL Klebsiella pneumoniae (je 8 %). Die am wenigsten vorkommenden Isolate waren Acinetobacter baumanii und Candida (je 3 %). KNS fühlten sich besonders auf den Mobiltelefonen von Ärzten wohl, MRSA bevorzugten die Geräte von Krankenschwestern.
Eine Studie von Gerba et al. ergab außerdem: Auf praktisch jedem Handy fanden sich pro Quadratzentimeter 3.895 Bakterien. Das sind 84-mal mehr als auf einem Toilettensitz. Die Community and Hospital Infection Control Association (CHICA, Kanada) gab einen entsprechenden Praxisleitfaden heraus, der für die Problematik elektronischer Geräte im Gesundheitswesen sensibilisieren soll. Einige der Empfehlungen beinhalten, dass Händehygienemaßnahmen zwischen Patientenkontakt und Handynutzung durchgeführt werden sollten.
Zur hygienischen Reinigung des Geräts empfehlen Mikrobiologen der Universität Furtwangen entweder saubere Mikrofasertücher oder alkoholische Brillenputztücher. Letztere können die Keimzahl um bis zu 96 Prozent reduzieren. Die Hersteller von Mobilgeräten raten allerdings meist nur zur trockenen Reinigung. Damit lassen sich jedoch lediglich 80 Prozent der Keime entfernen, zeigte die Studie.