Als ich hörte, dass die Pharmaindustrie ihre Zuwendungen an Ärzte veröffentlicht, war mir klar: EDV-Nerds werden einige an den Pranger stellen, die es gar nicht „verdient“ haben. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener ist weltweit einer der bekanntesten und meist zitierten Neurologie-Experten.
Ich kenne den Neurologen Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, der zum 30.4.2016 das Universitätsklinikum Essen nach 27 Jahren als Leiter der Klinik für Neurologie verlassen hat, persönlich. 1994 eröffnete er die erste Stroke Unit in Deutschland, gründete 2006 das Westdeutsche Kopfschmerzzentrum und 2010 auch das Schwindelzentrum in Essen. Als Wissenschaftler bleibt er der Universität Duisburg-Essen als Seniorprofessor für Klinische Neurowissenschaften erhalten. Zugleich wird er als Negativ-Beispiel bei Spiegel Online und der Recherche-Initiative „Correctiv“ in einer öffentlich zugänglichen Aufstellung als derjenige mit dem höchsten Zusatzeinkünften des Verbandes forschender Arzeinmittelhersteller (vfa) und der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie geführt. Eine der leitenden Journalistinnen dieser Recherche von Spiegel Online kenne ich ebenfalls persönlich – deshalb schreibe ich meinen Beitrag erst nach einer gewissen Bedenkzeit.
Erinnern tut mich das alles an die literaturhistorischen Umstände der Veröffentlichung von Arthur Millers „Hexenjagd“. Er schrieb das Stück als Kommentar zur Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära.
Warum stehen nur wir am Pranger?
Wir freiberuflich niedergelassenen Ärzte arbeiten in einem Freien Beruf mit allen erfüllbaren Pflichten und Folgen aus dem persönlichen Behandlungsvertrag nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) §§ 630 a bis h (a = Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag bis h = Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler).
Zugleich sind wir als freie Unternehmer mit allen arbeits- und sozialrechtlichen Verpflichtungen als Arbeitgeber tätig bzw. als Unternehmensführer mit Chancen Risiken, Kosten und Erträgen konfrontiert. Dafür müssen wir mit unseren privaten Einkünften und Vermögen einstehen und haften.
Doch warum sollen wir als einzige Berufsgruppe an einen öffentlichen Pranger gestellt werden und uns offenbaren? Alle anderen Freien Berufe wie Apotheker, Architekten, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, aber auch alle selbstständigen Unternehmer, selbstständige Handel-, Handwerk- und Gewerbetreibende, Journalisten, Film-, Fernseh- und Medienunternehmer, Makler, Vermittlungsagenturen (z. B. Import/Export, Rüstungsgüter, Profisport) können ohne größere multimediale Aufmerksamkeit weiterhin Zuwendungen, Aufpreise, Aufwandsentschädigungen, Sach- und Reisekostenersatz, Boni, Rabatte, Naturalrabatte, Erfolgshonorare, Bewirtungen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen von Industrie, privaten Auftraggebern, Parteien, Medienunternehmen, Öffentlich Rechtlichen Anstalten, Krankenkassen, Vereinen, Lobby- und Interessenverbänden kassieren: Ohne, dass je darüber öffentlich Rechenschaft abgelegt werden muss? Selbst Handelskonzerne, Banken, Versicherungen, Industrieverbände müssen ihre Rechnungsbücher über zusätzliche Ausbildungsaufwendungen, Sponsorengelder, Förderungen verdienter Mitarbeiter, Bewirtungen, Incentives, Werbe- und Großveranstaltungen nicht öffnen.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die gesetzlich garantierte Gleichbehandlung (Gleichheitsgrundsatz) im Widerspruch zu Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) verlässt, wenn rein branchen- und berufsspezifische Straftatbestände im Gesundheitswesen in Form von „Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“ als §§ 299 a und 299 b extra geschaffen und damit selektive Disziplinierung, Diskriminierung bzw. Strafverfolgung speziell gegen freiberufliche Ärzte vorgesehen werden.
Wir brauchen keine Denunziation
Im Gegensatz zu uns Mitgliedern der Ärztekammern (ÄK) und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) mit eigenen berufsrechtlichen Regelungen, kann gegen alle Mitglieder von Rechtsanwalts- und Notariats-, Architekten-, Handwerks- bzw. Industrie- und Handelskammern bei vergleichbaren Korruptionsvorwürfen wegen fehlender Strafnormen im StGB gar nicht ermittelt, geschweige denn bestraft werden.
Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) als Arbeitsgemeinschaften der KVen und ÄKn fallen uns niedergelassenen Kollegen auch noch in den Rücken. Sie bieten uns nur Fortbildungen, wo das Ausfüllen von Formularen erläutert und exzessive Sparmaßnahmen bei Verordnungen von Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln ohne Rücksicht auf Patientenbelange gepredigt werden.
Diese öffentliche Hexenjagd auf von der Pharmaindustrie gesponserte Kongresse, Fortbildungsveranstaltungen, Vortrags- und Symposionbeiträge, Aus-, Fort- und Weiterbildung kann nicht hingenommen werden.
Publikationen über medizinische Fortschritte in Klinik und Praxis, Umweltmedizin, Krankenhaustechnik, Infektiologie, Impfungen, Hygiene, pharmazeutische Fortschritte, Entwicklung neuer Devices, Implantate, maschineller Organersatz, interventionelle Techniken („fast-track“-Chirurgie, Laparoskopie, Endoskopie, „TAVI“, „PCI“, Herzkatheter, interventionelle Radiologie) etc. sind ohne Mithilfe und Unterstützung der „medizinisch-industriellen-“ und „pharmazeutisch-wissenschaftlichen-Komplexe“ gar nicht denkbar.
In Medizinbildung und Versorgung niemals involvierte „Gesundheits“-Politiker, GKV- und PKV-Kassen-, aber auch unsere eigenen Ärztefunktionäre bzw. Medien, Öffentlichkeit und Meinungsbildner in Politik und Gesellschaft haben keinerlei Vorstellungen von ubiquitären Krankheits-, Bewältigungs- und Versorgungsproblematiken.
Wir brauchen keine Denunziation, Diskriminierung, ideologische Verblendung, naiven Empirismus und naturalistisch übersteigerte Ideenbildung, sondern Synergien, Symposien, Curricula, Komplexität, Kommunikation und bio-psycho-sozial am Patienten orientierten medizinischen Fortschritt. Genau das Gegenteil von einer „Hexenjagd“.
Bildquelle (Außenseite): Huma Imtiaz, flickr