Die Weiterbildung zum Facharzt – das sogenannte Internat – ist in Frankreich anders organisiert als in Deutschland. Sie wird nach dem vorklinischen und dem klinischen Abschnitt als dritter Teil des Studiums gesehen. Die Internes (in Deutschland die Assistenzärzte) sind weiterhin in einer Universität eingeschrieben, wobei sie natürlich trotzdem bezahlt werden.
Die Studenten, die ja bereits halbtags im Krankenhaus arbeiten, werden im Übrigen ebenfalls entlohnt. Vor einer Woche habe ich das erste Gehalt bekommen, das ich mir mit einer medizinischen Tätigkeit erarbeitet habe. Ein tolles Gefühl – dass sich der Stundenlohn gern noch steigern darf, versteht sich von selbst und sei nur am Rande erwähnt. Die französischen Assistenzärzte rotieren während des Internats über drei bis fünf Jahre, abhängig von dem angestrebten Facharzt, durch unterschiedliche Kliniken und teilweise Praxen: Alle sechs Monate wechseln sie den „Service“ und arbeiten so in unterschiedlichen Häusern, mehreren verschiedenen Teams und unter einer Vielzahl von Ober- und Chefärzten. Das hat den Vorteil, dass sie viele Arbeitsweisen und organisatorische Strukturen kennenlernen. Und den Nachteil, dass sie immer wieder gehen müssen, wenn sie sich eingearbeitet haben und wohl fühlen.
Mein erster Tag in der Pädiatrie ist auch der erste Tag der neuen Internes. Der geräumige Besprechungsraum ist mit 15 neuen Assistenzärzten, in erster Linie jungen Frauen, etwa ebenso vielen Studenten und dem Team der leitenden Ärzte gut gefüllt. Große Fenster geben den Blick frei auf das Pariser Banlieue mit seinen tristen Hochhäusern und breiten Straßen, die eher in ein Industrie- als ein Wohngebiet passen würden. Heute ist zu allem Überfluss auch noch der Himmel verhangen und herbstlich grau. Ganz in der Ferne ist die Basilique du Sacré Coeur de Montmartre, die bei Touristen sehr beliebte, auf einem Hügel im Norden von Paris errichtete Kirche, zu erkennen. Selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert es keine Stunde, um auf ihren stolzen Treppen zu stehen. Aber hier sind wir in einer ganz anderen Welt.
Kleine Rotation für Erasmus-Studenten
Im Raum herrscht eine gespannte Aufbruchstimmung. Der Chefarzt stellt seinen Service und sein Team vor. Die Kinder- und Jugendheilkunde umfasst fünf Einheiten: Der neonatalen Station für Frühgeborene, der Säuglingsstation, der Station für Jugendliche, der Station für Kinder, die gemeinsam mit einem Elternteil im Krankenhaus sind, und der Notaufnahme. Für die Internes hat Prof. Poissonnier gemeinsam mit den Oberärzten einen durchdachten Arbeitsplan erstellt: Die sechs Monate ihres Semesters werden in drei Blöcke à zwei Monate unterteilt, sodass jeder Assistenzarzt drei Bereiche kennenlernen wird. Diese sind möglichst vielseitig zusammengestellt und es wird berücksichtigt, ob ein Facharzt der Allgemeinmedizin oder der Pädiatrie angestrebt wird. In Frankreich gibt es viele Kinder, die vom Hausarzt der Familie betreut werden; auf diese Aufgabe muss dieser vorbereitet werden und daher werden angehende Allgemeinmediziner auch in der Kinder- und Jugendheilkunde ausgebildet.
Nach der Veranstaltung heißt Prof. Poissonnier uns Erasmus-Studenten willkommen. Für einen möglichst umfangreichen Einblick lässt er auch uns rotieren – im Kleinen: Ich werde jede Woche den Bereich wechseln und mein Praktikum auf der Säuglingsstation beginnen. Es gibt viele Vorurteile und Stereotypen über die unterschiedlichen Fachärzte. Während Chirurgen in der Tendenz als knallharte Karrieristen gelten, sollen Pädiater besonders sozial und empathisch sein und sich weniger um Kleidung und Geld scheren als beispielsweise Radiologen. Ob ich diese Eigenschaften vermehrt bei den ärztlichen Kollegen vorfinden werde, wird sich zeigen – auf jeden Fall hat unser Chefarzt mit diesem gut organisierten und herzlichen Empfang bewiesen, dass er sich in seine jungen Kollegen hervorragend hineinversetzt und sich Gedanken gemacht hat, wie er ihnen einen guten Start und ein lehrreiches Semester ermöglichen kann. Bienvenue à la pédiatrie!
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