Bisher nahm man an, dass die Verpackungs-Moleküle Protamin-1 und -2 in engem Zusammenhang mit der Spermienqualität stehen. Das Mausmodell zeigte nun: Entfernt man eines der Moleküle, bleibt die Fruchtbarkeit unbeeinflusst. Müssen Reproduktionsmediziner umdenken?
Zum Zweck der Befruchtung muss die DNA der Spermien in eine besonders kompakte Transportform gebracht werden. In diesem Zustand nimmt sie nur ein Sechstel des üblichen Platzes ein. Das erleichtert dem Spermium einerseits seine beschwerliche Reise zur Eizelle, gleichzeitig schützt die dichte Packung die Erbsubstanz. Bei der Kompression der DNA übernehmen Protamine eine besondere Schlüsselrolle. Bei Menschen und Mäusen gibt es jeweils zwei Protamine. Bislang nahm man an, dass diese in einem bestimmten Mengenverhältnis gebildet werden müssen, damit gesunde Spermien entstehen können.
„Unsere Studie zeigt jedoch, dass diese These zumindest bei Mäusen nicht zutrifft“, erklärt der Leiter der Studie, Professor Dr. Hubert Schorle. Schorle leitet die Abteilung für Entwicklungspathologie am Institut für Pathologie der Universität Bonn. Zusammen mit seinen Mitarbeitern und in Kooperation mit Kollegen am Caesar Institut in Bonn und an der Universität Gießen, hat er die Rolle der Protamine bei der Spermienreifung genauer untersucht. Dazu bedienten sich die Wissenschaftler der CRISPR-Cas9-Gen-Schere. „Wir haben in unseren Experimenten Nager untersucht, bei denen gezielt eines der Protamin-2-Gene entfernt wurde“, erklärt Schorles Mitarbeiter Simon Schneider, der einen großen Teil der Arbeiten durchgeführt hat. „Obwohl die männlichen Versuchstiere nur noch eine Genkopie besaßen und als Folge deutlich weniger Protamin-2 produzierten, hatten sie normale Spermien und waren weiterhin fruchtbar.“
Sollte sich dieses Ergebnis auch beim Menschen bestätigen, müssten die Reproduktionsmediziner umdenken: In Fruchtbarkeits-Untersuchungen beim Mann kommen heute unter anderem Tests zum Einsatz, die die Menge von Protamin-1 und Protamin-2 messen. Wenn die beiden Verpackungs-Moleküle nicht in einem bestimmten Mengenverhältnis vorkommen, gilt das als Hinweis auf eine schlechte Spermienqualität. „Diese These muss nun wohl auf den Prüfstand“, betont Schneider. „Generell weiß man noch zu wenig darüber, wie die beiden Protamine bei der Verpackung zusammenspielen. Unseren Ergebnissen zufolge müssen zwar beide Proteine vorhanden sein, in welchem Mengenverhältnis die Protamine vorliegen, scheint aber in einem gewissen Rahmen egal zu sein“, sagt Schorle.