Bei vielen Krankheiten sinkt der Appetit gegen null. Forscher haben jetzt nachgewiesen, dass Nahrungsverzicht im Kampf gegen bakterielle Infektionen hilft. Unser Immunsystem profitiert ebenfalls. Bei Viren verhält es sich genau andersherum.
Eine alte Volksweisheit muss auf dem Prüfstand. „Feed a cold and starve a fever“ („Füttere eine Erkältung und hungere ein Fieber aus“) – das lernen Kinder im angloamerikanischen Raum von ihren Großeltern. Professor Dr. Ruslan M. Medzhitov interpretiert den Spruch jetzt neu. "Cold" steht für virale Infektionen, während „fever“ auf bakterielle Infektionen hindeutet.
Medzhitov forscht als Immunologe an der Yale School of Medicine. Er ging dabei von folgender Fragestellung aus: Kämpft unser Körper gegen Pathogene, verringert sich der Appetit. Ist diese biologische Reaktion sinnvoll? Ruslan M. Medzhitov. Foto: Yale School of Medicine Zusammen mit Kollegen konzipierte der Wissenschaftler ein Experiment. Er infizierte Mäuse mit dem Bakterium Listeria monocytogenes oder mit einem murinen, Influenza-ähnlichen Virus. Anschließend wurden die Nager mit Standardkost oder mit physiologischer Kochsalzlösung zwangsernährt. Tiere mit bakteriellem Infekt starben, falls sie Nahrung erhielten. In der Gruppe mit Natriumchlorid überlebte zumindest jede zweite Maus. Hatten sie zuvor einen Virus erhalten, war das Verhältnis genau anders herum. Rund 78 Prozent in der Nahrungsgruppe und zehn Prozent in der Kochsalzgruppe überlebten.
Jetzt wurden die verwendeten Nahrungsmittel genau unter die Lupe genommen. Ruslan Medzhitov fand heraus, dass Glukose von zentraler Bedeutung ist. Verhinderte er die Aufnahme des Zuckers durch den Inhibitor 2-Deoxy-D-glukose (2-DG), überlebten Tiere der Bakteriengruppe, während es in der Virusgruppe zu einer hohen Mortalität kam. Damit trat genau das Gegenteil des ersten Versuchs ein. Zum Hintergrund: Um den schädlichen Effekt reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) bei bakteriellen Infektionen zu minimieren, benötigen Zellen Ketone. Beim Fasten entstehen durch den Abbau von Fettsäuren Ketonkörper in der Leber: eine Alternative zur Bereitstellung von Glukose aus Kohlenhydraten. Diese Ketogenese ist schon lange bekannt, erscheint aber jetzt in einem völlig neuen Zusammenhang. Ganz anders sieht die Sache im Falle von viralen Infekten aus. Zellen reagieren auf falsche Eiweiße mit einer Unfolded Protein Response (UPR, Antwort auf ungefaltete Proteine). Dieser Vorgang benötigt Glukose. Wie ist Medzhitovs Studie zu bewerten? Da sich Menschen und Mäuse in den entscheidenden Stoffwechselschritten gleichen, hofft der Forscher, Patienten mit schwerwiegenden Infekten künftig besser behandeln zu können. Weitere Untersuchungen bestätigen seine Annahme, dass sich Erkenntnisse aus Tierexperimenten auf Menschen übertragen lassen.
Vishwa Deep Dixit. Foto: Yale School of Medicine Bereits anderthalb Jahre zuvor entschlüsselte Vishwa Deep Dixit von der Yale School of Medicine einen Zusammenhang zwischen Fasten und entzündlichen Prozessen. Beim Verzicht auf Nahrung entsteht unter anderem Betahydroxybutyrat (BHB). Nach längerer Fastenzeit erreicht der Metabolit im Blutplasma relevante Konzentrationen. BHB inhibiert Entzündungsprozesse über das NLRP3-Inflammasom als Zielstruktur. Dieser Proteinkomplex befindet sich im Zytosol von Makrophagen und neutrophilen Granulozyten. Er wird unter anderem von Bakterien stimuliert. Über mehrere Stufen entstehen schließlich aktive Interleukine, die Entzündungsreaktionen auslösen. Die Wissenschaftler experimentierten in diesem Fall nicht nur mit Mäusen, sondern auch mit menschlichen Zellen. Sie fanden heraus, dass sowohl gezielte Gaben von Betahydroxybutyrat als auch ketogene Diäten Entzündungsreaktionen verringerten. Damit fanden sie weit vor Medzhitovs Arbeit einen Beweis, dass der Stoffwechsel inflammatorische Vorgänge beeinflusst.
Valter D. Longo. Foto: SC Leonard Davis School of Gerontology Der Effekt ist jedoch komplexer als angenommen. Hungern Säugetiere, beginnt ihr Körper, Zellen des Immunsystems zu regenerieren. Zu dieser Erkenntnis ist Valter D. Longo von der University of Southern California, Los Angeles, gekommen. Bei Versuchstieren zögerte intermittierendes Fasten die Immunoseneszenz heraus. Darunter versteht man die nachlassende Leistungsfähigkeit des Immunsystems mit zunehmendem Lebensalter. Longo nahm anschließend 19 gesunde Probanden in eine Pilotstudie auf. Sie nahmen an jeweils fünf Tagen pro Monat statt der üblichen 2.000 bis 3.000 Kilokalorien lediglich 1.090 (Tag eins) beziehungsweise 725 Kilokalorien (Tage zwei bis fünf) auf. Ihr Nüchternblutzucker verringerte sich um elf Prozent. Die Ketonkörper stiegen um den Faktor 3,7 an, die IGF-1-Werte sanken um 24 Prozent, und der IGFBP-1-Wert stieg um 50 Prozent an. Durch das spezielle Programm normalisierte sich ihr vor Studienbeginn leicht erhöhter Spiegel an C-reaktivem Protein. Auch einen leichten Anstieg der Stammzellen des Immunsystems im Blut hat Longo nachgewiesen. Viele Puzzleteile zeigen, dass unser Stoffwechsel das Immunsystem beeinflusst. Welchen Wert die Erkenntnis in der klinischen Praxis hat, ist momentan aber unklar. Diese Frage lässt sich nur durch weitere Studien beantworten.