Body-Mass-Index, ebenso wie Bauchumfang (‚waist circumference‘) bzw. Verhältnis zwischen Bauchumfang und Körpergröße (‚waist-to-height ratio WHtR‘) sind Surrogatparameter. Sie können Morbidität oder Mortalität weder abbilden, detektieren, identifizieren noch demaskieren. Als isolierte Einzelsymptome sind sie keine nosologischen Krankheitsentitäten, die Ärzte zu behandeln vorgeben könnten.
Aber genau diesem Denkfehler unterliegen die Autoren Shoaib Afzal et al. mit ihrer Publikation „Change in Body Mass Index Associated With Lowest Mortality in Denmark, 1976-2013“
Denn nicht nur der Body-Mass-Index (BMI) ist ein lupenreiner Surrogatparameter, der weder Morbidität noch Mortalität abbilden, detektieren, identifizieren oder demaskieren kann. Den BMI als isoliertes Einzelsymptom zu einer nosologisch greifbaren Krankheitsentität hochstilisieren zu wollen ist schlicht und ergreifen töricht! Ganz so, als seien ausgerechnet der BMI, der Bauchumfang oder die waist-to-height ratio (WHtR) die Krankheiten, die man zu behandeln vorgibt?
Unsere Patienten sterben nicht unmittelbar an ihrem „falschen“ BMI, sondern an einem abnehmenden BMI bei konsumierenden Tumorerkrankungen, kardialer, pulmonaler oder renaler Kachexie, Altersdegeneration und -exsikkose bzw. an allgemeinen alterungsbedingten Organ-Abbauprozessen. Deswegen spricht ein relativ hoher BMI auch noch gegen derartige vital bedrohliche oder präfinale Zustände.
Das Adipositas Paradoxon
Das „Obesity“-Paradoxon wird in zahlreichen Studien beschrieben. Exemplarisch unterliegt die Veröffentlichung von P. Costanzo et al. „The Obesity Paradox in Type 2 Diabetes Mellitus: Relationship of Body Mass Index to Prognosis“ diesem „bias“ (Annahmefehler). Zwar mussten Typ-2-Diabetiker mit Übergewicht oder Obesitas aus kardiovaskulären Gründen häufiger hospitalisiert werden, doch nur das moderatere Übergewicht war mit geringerer Mortalität assoziiert, die Fettsucht dagegen nicht [„Conclusion: In this cohort, patients with type 2 diabetes who were overweight or obese were more likely to be hospitalized for cardiovascular reasons. Being overweight was associated with a lower mortality risk, but being obese was not“]
Es ist der Katabolismus selbst, der sich bei anderen, gleichzeitig bestehenden, schweren, konsumierenden Begleiterkrankungen mit erhöhter Mortalitätsrate, zum Beispiel bei Tumorkachexie oder pulmonal, kardial, renal, hepatogen bzw. vaskulär bedingter Kachexie maskiert und mit erhöhter Mortalität in der Gruppe der Norm- bis Untergewichtigen einhergeht.
In der Mega-Metaanalysen-Studie von K. M. Flegal et al. wurden 97 prospektive Studien, vornehmlich aus den USA und Europa, mit mehr als 2,88 Millionen Menschen und über 270.000 Todesfällen ausgewertet. In „Association of All-Cause Mortality With Overweight and Obesity Using Standard Body Mass Index Categories“ war die Mortalität bei BMI-Normalgewicht deshalb erhöht, weil der von K. M. Flegal et al. verwendete „cut-off“ eines BMI von größer oder gleich 18,5 (bis 24,9) betrug.
Statistische Verzerrungen
Einem BMI von 18,5 entspricht bei einer Größe von 180 cm nur noch 59 kg Körpergewicht. Dies führt zu einer statistisch verzerrenden Erhöhung der Mortalität in der Population der noch normgewichtigen Patienten und dann später katabol-krankheitsbedingt weiter Untergewichtigen gegenüber den Übergewichtigen mit ihrem anabolen Stoffwechsel.
Vergleichbar ist damit die Schlussfolgerung einer Diabetes-Studie mit dem Titel „Association of Weight Status With Mortality in Adults With Incident Diabetes“ von M. R. Carnethon et al.: „Conclusion: Adults who were normal weight at the time of incident diabetes had higher mortality than adults who are overweight or obese.“
Denn Adipöse und Patienten mit Obesitas haben gute, therapeutisch zugängliche Gründe für ihren Typ-2-Diabetes: Bewegungsmangel, metabolisches Syndrom, Insulinmangel bei relativer Betazellinsuffizienz und zunehmende Insulinresistenz.
Normalgewichtige mit Typ-2-Diabetes haben dagegen eine progrediente, absolute Betazellinsuffizienz mit dramatischerem Krankheitsverlauf und höherer Mortalität, was idiopathisch, metabolisch oder genetisch determiniert sein könnte.
Auch das „Adipositas-Paradoxon“ bei systolischer Herzinsuffizienz („heart failure“ HF) bleibt rätselhaft. Übergewicht erhöht das Risko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Gesunden. Wer bereits erkrankt ist, profitiert eher vom Übergewicht: „The obesity paradox in men versus women with systolic heart failure“.
Dort heißt es in den Schlussfolgerungen so gar nicht gender-spezifisch: „In conclusion, in patients with advanced HF, high BMI and WC were associated with improved outcomes in both genders. Further investigation of the interaction between body composition and gender in HF outcomes is warranted.“
Dabei wurde die kardiopulmonale Kachexie übersehen. Patienten mit fortgeschrittener, schwerer Herzinsuffizienz entwickeln in der Endstrecke NYHA IV, eine katabole Energiebilanz. Dann trifft die höhere Sterblichkeit vermehrt untergewichtige Herzinsuffizienz-Patienten auch mit einem BMI ab 18,5.
Schlank ist nicht gleich gesund
Und die Studie „Overweight and obesity are associated with improved survival, functional outcome, and stroke recurrence after acute stroke or transient ischaemic attack: observations from the TEMPiS trial“ ergab, dass nach einem Schlaganfall die Überlebens- und Restitutionswahrscheinlichkeit von Patienten mit relativem Übergewicht und einem BMI > 25 besser als bei Normgewichtigkeit mit BMI 18,5 - 24,9 waren.
Doch auch hierbei wurden katabole Begleiterkrankungen und mortalitätserhöhende Risikofaktoren in der Population mit niedrigem BMI nicht ausreichend diskutiert.
Die einfache Gleichung „schlank gleich gesund“ gilt eben nur für Gesunde, nicht für kranke Schlanke. Bei Kranken müssen Normgewicht, Übergewicht, Untergewicht und dynamische krankheitsbedingte Gewichtsveränderungen differenzierter als lediglich mit dem BMI untersucht und diskutiert werden.
Oder ist etwa das 'Neue Schlank' ungesund und krank?
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