Ihr PSA-Wert ist nach der erfolgreichen Entfernung der verkrebsten Prostata nicht mehr im Nachweisbereich. Trotzdem ist für einige dieser Patienten das Leben nicht mehr lebenswert. Der Grund: Tägliche Flecken in der Hose und die Windel für den gestandenen Mann.
"Viele Männer ziehen sich immer mehr zurück, manche vereinsamen regelrecht. Sie entwickeln Depressionen und in dramatischen Fällen sogar Selbstmordgedanken.“ Männer, von denen Professor Christian Stief von der Urologischen Klinik in München-Großhadern erzählt, wurden oft gerade von Krebs geheilt. Nicht selten kommt aber auch nach einer erfolgreichen Prostata-OP eine Inkontinenz. Und nicht selten sind es gerade die beruflich erfolgreichen und selbstbewussten Männer, die mit dem ungewollten Flüssigkeitsverlust nur ganz schwer umgehen können.
Stiefs Kollegin, PD Dr. Ricarda Bauer, leitet das Kontinenzzentrum an der Universität München und kann sich in die Situation dieser Männer einfühlen: „Sie gehen ihrem Empfinden nach gesund in die Klinik, denn sie spüren den Krebs ja eigentlich nicht. Nach der Operation fühlen sich einige als „Krüppel“ - mit Problemen beim Wasser halten und beim Geschlechtsverkehr.“ PD. Dr. Bauer von der Urologischen Klinik und Poliklinik der LMU München© R.M. Bauer Rund 23.000 mal im Jahr entfernen Urologen in Deutschland die gesamte Prostata. Je nach Expertise werden bis zu einem Viertel der operierten Männer inkontinent, in Zentren mit großer Erfahrung liegt die Rate bei unter fünf Prozent. Wenn es beim Mann tröpfelt, unterscheidet der Urologe dabei zwischen einer Dranginkontinenz oder einer Belastungsinkontinenz. Die „überaktive Blase“ mit Dranginkontinenz ruft das Gefühl hervor, es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette zu schaffen. Sie verschwindet meist im Laufe eines Jahres nach der Operation. Dagegen kann die Belastungsinkontinenz unbehandelt zum Dauerzustand werden.
Die „Unbehandelt“-Quote ist bei Inkontinenten höher als bei den meisten anderen Krankheiten. Einer Befragung der deutschen Kontinenz-Gesellschaft zufolge liegt sie bei rund 60 Prozent. Männer leiden noch in weit höherem Maße still vor sich hin als Frauen. Männer seien in ihrem Leben zuvor nie direkt in Kontakt mit Binden oder Slipeinlagen gekommen, berichtet Bauer im Gespräch mit DocCheck von ihren Erfahrungen mit ihrem männlichen Klientel. Sie würden oft von der Kasse nur unzureichend mit geeigneten Einlagen unterstützt und machten sich dann eigenständig im Supermarkt oder Drogerie auf die Suche nach Damenbinden. Das Ergebnis dieser Suche geht dann aber nicht selten in die Hose. Dazu kommt dann der Ehestress. Über die viele anfallende Wäsche wären die Partnerinnen alles andere als erfreut. Und statt des lange angekündigten schönen Lebens als Rentner mit Konzerten, Reisen und Wanderungen bleibt der schlechtgelaunte Ehemann lieber schamhaft zu Hause. Schließlich steht zuweilen auch noch der behandelnde Arzt einer effektiven Inkontinenz-Behandlung entgegen. „Seien Sie froh, dass sie nach dem Prostatakrebs noch leben! Ihr PSA-Wert ist vollkommen in Ordnung,“ so würden die Verzweifelten häufig in der Sprechstunde abgespeist, „und das gelegentliche Tröpfeln werden Sie doch wohl noch aushalten!“. Viele Ärzte sind zwar über die Möglichkeit einer operativen Behandlung informiert, aber schrecken ihre Patienten mit der Perspektive eines erneuten aufwändigen Eingriffs mit ungewissem Ausgang ab.
Vielfach ist der Eingriff jedoch gar nicht nötig. Denn dem leichten Urinverlust wirkt oft schon ein starker Beckenboden- und Schließmuskel entgegen. Frauen kennen die Übungen schon aus der Rückbildungsgymnastik nach der Geburt. Den meisten Männern ist jedoch ihr Beckenboden unbekannt und lässt sich auch nicht mit Videos oder bebilderten Buchseiten erspüren oder gar kräftigen. „Ich sehe Männer, die drei oder vier Jahre permanent die Po- und Oberschenkelmuskulatur trainiert haben“, berichtet Bauer von erfolglosen harten Trainingsanstrengungen. Dennoch ist auch das Training beim ausgebildeten Beckenboden-Therapeuten nicht vom ersten Augenblick an wirksam. Zwei Monate ganz gezieltes kurzes tägliches Training sollte aber dann schon eine Besserung bewirken.
Der nächste Schritt ist aber dann auch nicht gleich der aufwändige künstliche Schließmuskel. Für den Mann, dessen Muskel zwar schwach ist, aber noch funktioniert, gibt es eine Lösung per Schlinge, die die Harnröhre hebt und damit den Muskel wieder besser arbeiten lässt. Kompressive verstellbare Schlingen drücken die Urethra zusammen und sind auch für bestrahlte Patienten geeignet. Die fixierte „Advance®-Schlinge“ unterstützt das schwache Bindegewebe und hält damit den Harn zurück, der sonst dem Schließmuskel entkommt. Einmal eingesetzt, ist eine weitere Anpassung nicht mehr nötig. Auch der jetzt kontinente Mann muss nichts mehr dazu tun und spürt kaum einen Unterschied zu früheren „trockenen“ Zeiten. Studien bestätigen eine Erfolgsquote von rund 65 Prozent in Bezug auf eine komplette Heilung und rund 13 Prozent für eine spürbare Verbesserung. Auch nach drei Jahren Nachbeobachtung sind diese Zahlen noch stabil. Dennoch sollten auch diese Patienten nicht aufhören, ihren Beckenboden für die kommenden Jahre fit zu halten - meist reichen dazu fünf Minuten täglich. Lage der AdVanceXP-Schlinge bei der Inkontinenz-Therapie
Erst wenn der eigene Schließmuskel gar nicht mehr mitspielt, kommt der „artifizielle künstliche Sphinkter“ mit der Manschette um die Harnröhre und einem Ballon zur Druckregulierung zum Einsatz. Bei ihm muss jedoch der Patient bei jedem Wasserlassen den Schalter im Hodensack bedienen. Einige Wochen nach der Operation und der anschließenden Abheilung kann der Betrieb starten - jedoch nur bei Männern, die noch klar im Kopf und beweglich in den Fingern sind. Eine Dranginkontinenz macht einigen Männern mit einer Prostata-Totaloperation in den allermeisten Fällen nur vorübergehend zu schaffen. Dennoch gibt es auch hier Abhilfe. Anticholinergika sorgen in der Regel für eine Beruhigung der das Blase. Manchmal so sehr, dass das Medikament gar nicht mehr abgesetzt wird, auch wenn das natürliche Urindepot wieder völlig normal funktioniert. Tut es das nicht, kommt möglicherweise auch Botox oder ein Blasenschrittmacher in Betracht. Spezialisierte Zentren versorgen ausgewählte Patienten mit der „sakralen Neuromodulation“, um mit Stromstößen die gestörte Kommunikation zwischen Gehirn und der ausführenden Muskulatur beim Harnfluss zu korrigieren.
„Raus aus der Tabuzone“, so lautet der Wunsch von Urologen, die vielen Patienten wirkungsvolle Hilfe anbieten könnten - wenn sie sie denn zu sehen bekämen. Noch leiden viele Männer eher still vor sich hin und schämen sich ihrer nassen Hose, als den Inkontinenz-Spezialisten um Rat zu fragen. Zuweilen vielleicht sogar schon vor der Prostata-OP. Umfragen besagen, dass die Angst vor dem Kontrollverlust der Blase zwischen den Toilettengängen noch größer ist als der vor nachlassender Potenz. Aber auch ein „Stellen Sie sich doch nicht so an.“ in der Arztpraxis bringt viele Männer zum Schweigen, für die es wirkungsvolle Abhilfe gäbe. Aussagen wie „Sie haben mir mein Leben wiedergegeben“ und Dankschreiben auch noch Jahre nach der erfolgreichen Inkontinenz-Therapie zeigen, dass Lebensqualität nicht nur mit dem besiegten Tumor zusammenhängt.