Ich mach mir ein wenige Sorgen wegen Urs. Inzwischen ist er schon eine Zeit lang bei uns und durfte einige unserer Kunden kennenlernen, auch speziellere. Und auch manche, die ich noch nie gesehen habe.
„Haben Sie mir etwas zum Schlafen?“, fragt die Kundin mittleren Alters meinen Drogisten. Urs: „Ja – hier drüben? Wo liegt denn das Problem? Können Sie nicht einschlafen?“ Frau: „Doch, nur werde ich dann die ganze Nacht gefoltert! Können Sie sich das vorstellen? Wie das ist? Nicht schlafen zu können, weil… ich bin die Stimme Gottes – ein Medium… und dann kontaktieren mich auch auch manchmal Engel. Aber die Verstorbenen, das sind die schlimmsten. Die lassen mir keine Ruhe. Am schlimmsten ist Marilyn. Wissen sie überhaupt, was für ein Biest das ist? Gar nicht so nett, wie sie immer dargestellt wird. Und mit ihren ständigen Forderungen lässt sie mich nicht schlafen!“
„Uh …“. - „Ja, sie und noch ein paar andere sind hinter mir her. Vielleicht liegt das daran, dass ich die Reinkarnation einer jüdischen Prinzessin bin. Ja, ich komme ursprünglich aus Israel… also nicht in diesem Leben, aber früher mal. Ich bin sogar einmal nach New York geflogen, extra um diesen bekannten Rabbi zu besuchen und stellen sie sich vor, dann war der in den Ferien! Haben sie mir dann dort gesagt. Das kann doch nicht sein.“ - „Ah…“.
„Ja, die wollten mich nicht empfangen. Dabei bin ich doch selber von da. Und ich habe Kontakt mit dem Kaiser von China und Peter. Ich glaube, Sie können gar nicht verstehen, mit wem ich mich da herumschlagen muss. Und jede Nacht! Verstehen Sie? Jede! Ich bin doch nicht verrückt. Ich bin einfach sehr sensibel. Sie reden ständig mit mir!“
Das ist übrigens die Kurzfassung. Tatsächlich hat die Frau etwa 10 Minuten auf Urs eingeredet. Währendessen ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. Nicht, dass ich gewusst hätte, was dazu zu sagen wäre und er wohl auch nicht. Durch ihre ausufernden, herumfuchtelnden Bewegungen direkt vor Urs Gesicht und gelegentlich sehr laut werdend, zog sie die Aufmerksam diverser anderer Kunden und Patienten auf sich. Dem folgten Kopfschütteln und bedauernswerte Blicke in seine Richtung und fast erschrockene in ihre.
Auweia. Tatsächlich verstehe ich, aber wohl nicht das, was sie denkt. Psychotisch höchstwahrscheinlich. Und ja: Wir hätten Medikamente, die da vielleicht helfen könnten. Nur gehört sie dafür definitiv zum Psychiater.
Während ihrer Litanei zog sich Urs langsam in Richtung Ausgang zurück, sie folgte ihm natürlich. Als sie endlich eine Pause machte, versuchte er es, sehr einfühlsam: „Ja, ich sehe, sie sind eine sehr sensible Person mit einem speziellen Problem. Leider kann ich ihnen hier gar nicht helfen. Aber vielleicht hilft es, wenn sie mit jemandem... Professionellen darüber reden?“
Damit hat er sie praktisch sanft, aber bestimmt nach draußen befördert. Nicht alle Kunden sind so und er hat das ziemlich gut gemeistert, aber ich glaube, ich muss ihn ein bisschen aufbauen gehen. Nach so etwas muss er sicher etwas Luft ablassen. Ich hab’ ja zum Glück den Blog dafür.