Kennen Sie auch das Gefühl, wenn die Blase richtig drückt? Kein Problem für viele, die nächste Toilette ist ja nicht weit. Anders aber für Menschen mit Harnverhalt. Diese können selbstständig kein Wasser mehr lassen. Im ersten Moment ist es befremdlich, mit einem Katheter für Erleichterung zu sorgen. Doch mit etwas Übung ist es leicht – ein Versuch, mit einem der großen Tabuthemen aufzuräumen.
Peter Kortjan (Name geändert) ist 65 Jahre alt und seit vielen Jahren schon Diabetiker. Er nimmt es mit dem Zucker nicht ganz so genau, sagt er. Es gehe ihm gut und das Essen schmeckt ja auch. Man müsse eben aufpassen, so Kortjan weiter. Heute ist er wieder einmal zur Routineuntersuchung bei seinem Urologen, Dr. K. Dieser fragt nach dem allgemeinen Befinden und ob es denn Probleme gibt. „Naja, ich bin schon 40 Jahre verheiratet, Herr Doktor, da gibt es keine Probleme mehr“, antwortet der Patient mit einem Lächeln. Es ist sogar etwas sehr viel besser geworden. Er müsse nicht mehr so häufig nachts raus und auch am Tage verspüre er nur noch selten Harndrang. Manchmal tröpfelt es vielleicht etwas von allein. „Das fühlt sich schon ganz ok an, Herr Doktor. Schließlich bin ich ja keine 20 mehr“, so Kortjan lapidar.
Der Urologe bittet ihn dennoch in den Nebenraum zum Ultraschall. Als Diabetiker besteht nämlich für Peter Kortjan die Gefahr, dass aufgrund der hohen Blutzuckerlast Nerven in seinem Körper geschädigt werden und er deshalb wichtige Signale nicht mehr wahrnimmt. Der Arzt spricht in solchen Fällen von einer Polyneuropathie.
Zum einen kann es sein, dass schlecht eingestellte Langzeit-Diabetiker ihre Füße nicht mehr spüren, wodurch hier unbemerkt Verletzungen oder Nageleinrisse passieren können. Auch die Sexualität kann unter der Polyneuropathie leiden, indem Herr Kortjan Erektionsstörungen entwickelt. Doch noch viel gefährlicher ist die fehlende nervöse Steuerung der Harnblase. Fallen die Nerven der Blase aus, kann sie anfangs nur noch unzureichend und später überhaupt nicht mehr entleert werden. Es kommt zum Rückstau des Urins bis in die Nieren, die dadurch sogar schwer geschädigt werden könnten. Und gerade die Nieren sind neben den Nerven eine besondere Schwachstelle bei Diabetikern.
Im Ultraschallbild bestätigt sich der Verdacht des Urologen: Herr Kortjan hat einen bereits fortgeschrittenen chronischen Harnstau. Dieser ist schmerzlos und der Patient fühlt lange Zeit nichts von seinem Problem. Herr Kortjan wird ein Katheter eingeführt, der schnell Erleichterung bringt.
Einige Tage und weitere Tests später steht fest: Die langjährige Diabetes-Erkrankung hat bereits die Nerven der Blase geschädigt, wodurch Herr Kortjan mittelfristig seine Blase nicht mehr allein entleeren können wird. Im ersten Moment ein großer Schock für den Frührentner. Herr Kortjan hat noch brennende Fragen an seinen Arzt, welche dieser ihm auch fachkundig beantwortet, ihm so die erste Angst vor der Diagnose nimmt. Außerdem erläutert der Mediziner ihm die verschiedenen Möglichkeiten der Hilfe. Schnell ist jedoch klar, dass es am einfachsten für den Rentner sein wird, sich selbst zu katheterisieren. Darüber hinaus zahlt die gesetzliche Krankenkasse sowohl das Katheterisierbesteck als auch die Desinfektionsmittel für Herrn Kortjan.
Selbstkatheterisierung will gelernt sein
Zugleich wird er zukünftig eine Diabetes-Schulung besuchen, um sich besser auf seine Grunderkrankung einzustellen. Nur so wird er weitere Folgeschäden durch den hohen Blutzuckerspiegel vermeiden können, berät ihn der Arzt. Wie für viele Menschen ist auch für Peter Kortjan der Gedanke, sich vier bis fünfmal täglich einen Katheter einzulegen, zuerst eine unvorstellbare Maßnahme. Sein Urologe nimmt ihm jedoch die Angst und zeigt ihm, wie er dabei vorgehen muss. Mit der Zeit und nach erfolgreicher Schulung gehört das Katheterisieren schon bald zum Alltag des Frührentners. Besonders achtet er auf die folgenden Punkte, um sich ebenfalls auf einer öffentlichen Toilette Erleichterung verschaffen zu können:
Ein Jahr danach
Wieder einmal ist es Zeit für die alljährliche Vorsorgeuntersuchung beim Urologen. Peter Kortjan berichtet, dass er keine Probleme mehr habe mit dem Katheterisieren und auch im Ultraschall bestätigt sich dies – kein Restharn. Sein Blutzucker ist jetzt optimal eingestellt und er hat sogar etwas Bauchumfang verloren. Blutdruck und allgemeines Wohlbefinden besserten sich mit jedem Kilogramm, dass er seit dem letzten Jahr abgenommen hatte. „Bis zum nächsten Jahr und alles Gute“, verabschiedet ihn sein Urologe an diesem Tag. Zufrieden und ein wenig stolz auf sich, verlässt er die Praxis.
Exkurs: Achtung Notfall!
Anders als der chronische Harnverhalt, der sich meist symptomlos entwickelt (gegebenenfalls treten gehäuft Blasenentzündungen auf, infolge des gestauten Urins, der als Nährboden für Keime dient), ist der akute Harnverhalt durch starke Schmerzen im Unterbauch gekennzeichnet. Meist kommt es durch Harnsteine, Verletzungen oder Tumoren plötzlich zu einem Verschluss/einer Blockade der Harnwege. In der Folge staut sich der Urin in der Blase und bläht das Organ schmerzlich auf. Bei vielen Patienten mit akutem Harnverhalt ist die Harnblase als Vorwölbung am Bauch sogar zu sehen. Der akute Harnverhalt ist ein Notfall, der unmittelbar im Krankenhaus über einen Katheter entlastet werden muss. Erst danach kann die Ursachenforschung beginnen. Der akute Harnverhalt wird nach erfolgreicher Therapie des Auslösers auch keine dauerhafte Selbstkatheterisierung nach sich ziehen.
Der chronische Harnverhalt hingegen entsteht oft als Folge einer Nervenschädigung oder Muskelschwäche (z. B. bei Diabetes mellitus, Multipler Sklerose oder Querschnittlähmung mit schlaffer Lähmung der Blase), sodass eine eigenständige (autonome) Blasenentleerung nicht mehr erfolgen kann. Hier muss eine dauerhafte Lösung her zur manuellen oder unterstützten Blasenentleerung.
Quellen: