„Greife lieber zur HB!“ - äh, zum Medikamentenplan! Aus der Zeit mit dem „in die Luft“ gehenden „HB-Männchen“ stammten die ersten Medikamentenpläne für meinen Großvater, Dr. Rudolf Schätzler – Altphilologe für Griechisch und Latein – von seinem Hausarzt Dr. W. Bracht, der schräg gegenüber auf der Manfred-von-Richthofen-Str. in Berlin-Tempelhof seine hausärztliche Praxis führte.
Denn schon damals wurde meinem Opa als GKV-„Kassenpatienten“ jedes Rezept mit Arztsignatur in der Apotheke weggenommen, damit er nur ja nicht nachlesen konnte, was ihm da unser hochgeschätzter Haus- und Familienarzt für drei Generationen, der später einmal mein Vorbild werden sollte, verschrieben hatte.
Alle Patienten, die drei oder mehr Medikamente verordnet bekommen haben, sollen ab 1. Oktober 2016 mit einem Medikationsplan ausgestattet werden. Was steckt eigentlich dahinter?
Am 13. Juni 2013 wurde der neue Aktionsplan AMTS 2013–2015 auf dem „4. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie“ vom BMG vorgestellt. Daraus resultierte der Medikamentenplan: Patienten in Deutschland sollen künftig einen digital erfassten Medikamentenplan bekommen. Ein Testlauf begann in Rheinland-Pfalz. „Ziel des Projekts ist, dass unerwünschte Wirkungen, Doppelverordnungen oder Wechselwirkungen von Arzneimitteln vermieden werden“, sagte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, die rheinland-pfälzische Ressortchefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD).
Seit nunmehr 24 Jahren habe ich Medikamentenpläne in Gebrauch, elektronisch gespeichert und ausgedruckt seit 1995 bis zum heutigen Praxistag. Kein persönlich an den Patienten gerichtetes Rezept (Rp. ist die lateinische Abkürzung für recipe = „nimm“) verlässt meine Praxis ohne die Signatur der Medikamenten-Einnahmevorschrift. Das ist der letzte Teil der Rezepturanweisung, der mit signa (lat.) „bezeichne“ aus M.D.S., oder eigenständig mit S. abgekürzt wird. Dort werden die Anzahl und Dauer der Anwendung des Arzneimittels und gegebenenfalls besondere Anwendungshinweise genannt.
Und immer noch wird den Patienten das GKV-Rezept der Vertragsärzte nach Muster 16 mit essenziellen Informationen für ihre Behandlung in den Apotheken – selbst im Zeitalter von online-Übertragung an EDV-Apotheken-Rechenzentren – einfach weggenommen. Das, und nichts anderes, ist die eigentliche Ursache für die Notwendigkeit von Medikamentenplänen. Der Patient verlässt nach mehreren Arztbesuchen die Apotheke mit mehreren Pillenschachteln und rätselt zu Hause, wer aus verschiedene Fachrichtungen ihm das alles wohl verschrieben hat?
Aber was, um alles in der Welt, hat dann die in dieser Frage offenkundig ahistorisch debattierenden, dilettierenden und hinterwäldlerisch agierenden Funktionäre der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Bundesärztekammer (BÄK) und des Deutschen Apothekerverbands nur dazu getrieben, über eine scheinbare Neu-Einführung und Pseudo-Innovation eines Medikationsplans zu schwadronieren? Ganz so, als wären wir Vertragsärzte zu dämlich, das Wort „Medikamentenplan“ richtig lesen und schreiben zu können?
Warum haben sie nur kein Rückgrat gezeigt und sind aufgestanden, um Politik, Medien und Öffentlichkeit wachzurütteln und darauf hinzuweisen, dass seit Alters her auf jedem Rezept ein personalisiertes Rp.: recipe (lat.) „nimm“ vorhanden ist und die Einnahmevorschrift mit S.: signa (lat.) „bezeichne“ bzw. die Apotheken-Anfertigung mit M.D.S.: misce, da, signa (lat.) „mische, gib und bezeichne“ beschrieben werden?
Oder, dass die zusätzliche, schriftlich zusammenfassende Medikationsplanung zum Kerngeschäft strukturierter hausärztlicher Versorgung gehört? Und dass Rezepte nach Muster 16 wieder in die Hände der Patienten zurück und nicht allein in die Fänge der Abrechnungsbürokratie gelangen müssten?
Stattdessen katzbuckeln unsere Funktionärseliten in aller Öffentlichkeit ebenso versorgung- wie medizin-bildungsfern. Ganz so, als wären nur und ausschließlich wir Vertragsärzte mal wieder selbst an Allem schuld, weil unsere Patienten sich nicht mehr erinnern können oder wollen, von welchem Arzt sie wie und wann welche Medikamente einnehmen sollten: Die Apotheke hat es zwar (hoffentlich!) wenigstens auf der Umverpackung vermerkt, aber diese landete ja schon vor Wochen im Altpapier-Container…
Aber wie schon gesagt: "Wer wird denn gleich in die Luft gehen?“
Bildquelle (Außenseite): redjar, flickr