Ist das wirklich die entscheidende Frage? Meine Ansage: Neues Anschreiben und Merkblatt des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bzw. des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (GBA) sind ein ‚Handbuch der populären medizinischen Irrtümer‘. Da hilft Medizin-bildungsfern ‚Das Einmaleins der Skepsis‘ von Prof. G. Gigerenzer auch nicht weiter.
Diese Entscheidungshilfe soll eine Weiterentwicklung eines vom IQWiG erstellten Merkblatts sein, das der GBA im Januar 2016 veröffentlicht hatte.
Bereits der Titel im Merkblatt der überlangen 16-seitigen "Informationen zum Mammographiescreening - Programm zur Früherkennung von Brustkrebs für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren" ist formal und inhaltlich unsinnig. Brustkrebs ist die häufigste Malignom-Todesursache bei Frauen weltweit in allen Industrie-Ländern mit hoher Lebenserwartung (Ausnahme aus genetischen Gründen: Japan). Es gehört eine gewisse Portion gender-spezifische, medizinische Einfältigkeit dazu, die Altersgruppe unter 50 und über 69 Jahre bei der Früherkennung des Mammakarzinoms alternativlos auszuschließen.
Mit dem für Ratsuchende unverständlich saloppen Anglizismus „Screening“ („to screen“, engl. „etwas auf den Bildschirm bringen“), welcher hier vorsorgemedizinisch als Suche nach Krankheiten in einer definierten Bevölkerungsgruppe gemeint ist, verstecken sich IQWiG und GBA vor einer zwingend notwendigen Abgrenzung zwischen Vorsorge (Prävention) und Früherkennung. Und dies ist keinesfalls semantische Spitzfindigkeit. Das IQWiG stellt im Merkblatt des GBA auf Seite 6 fest: „Etwa 970 von 1000 Frauen erhalten nach der Untersuchung einen unauffälligen Befund.“
Abgesehen von der für Laien nur in völlig anderen Bereichen üblichen Promille-Rechnung, fährt das IQWiG/GBA auf Seite 7 fort: „Nach zwei Jahren erhalten diese Frauen erneut eine Einladung zur Mammographie“. Damit ist jedoch die Mammografie für 97% der Frauen als rein präventive Vorsorgeuntersuchung abgeschlossen, denn sie haben nach medizinisch möglicher Testgenauigkeit keinen Tumor („free of tumor“). Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit einer primären Tumordetektion 2 Jahre später deutlich geringer, als in der Gesamtpopulation möglicherweise prämorbider Frauen vom 40. bis 90. Lebensjahr mit altersabhängig steigender Inzidenz und Prävalenz.
„30 Frauen werden zu weiteren Untersuchungen eingeladen“ heißt es in der IQWiG-Promille-Rechnung; „24 Frauen haben keinen Brustkrebs“ und „6 Frauen erhalten die Diagnose Brustkrebs“ (Seite 7). Nur und ausschließlich bei diesen 6 Frauen, also bei 0,6 Prozent, greift das „Mammographiescreening“ nicht mehr als präventive Vorsorgeuntersuchung, sondern als Krebs-Früherkennung. Deshalb ist auch der IQWiG/GBA-Satz für die Teilnehmerinnen irreführend und diskriminierend „Wichtig zu wissen: Die Mammographie kann nicht verhindern, dass Brustkrebs entsteht.“ Denn dieser unterstellt der praktischen Lebenserfahrung einer Nichtbetroffenheit in 99,4 Prozent als Ergebnis einer nicht repräsentativen Suggestiv-Befragung die Einfalt, dass der Brustkrebs damit gar nicht erst entstehen könne: Gesundheitsmonitor „Mammografie-Screening und informierte Entscheidung: mehr Fragen als Antworten“ von Marie-Luise Dierks und Norbert Schmacke
http://gesundheitsmonitor.de/uploads/tx_itaoarticles/2014-03-Beitrag.pdf
Weitere Fehler und medizinisch-senologische Ungenauigkeiten im zitierten Merkblatt:
Dass Brustkrebserkrankungen von begleitenden Multimorbiditäten, Inzidenzen und Prävalenzen bzw. Traumata und Unfällen oder hohem Lebensalter, welche ebenfalls zum Tod führen können, überlagert bzw. überschattet werden, ist leider auch eine Alltagserfahrung unserer fragilen Sterblichkeit und vergänglichen Endlichkeit.
Dass hier aber ein tendenziöses, wenig aufklärerisches Merkblatt publiziert wird, welches allgemeinen Standards der Differenzierung von Vorsorge (Prävention) und Früherkennung nicht Stand hält, ist die eine Sache. Aber hier die Brustkrebs-Problematik mit Vorsorge-Prävention, Früh-Detektion und möglicher Kuration bei Frauen herunter spielen bzw. ausgerechnet auf Frauen vom 50. bis 69. Lebensjahr und ausschließlich auf die Mammografie eindampfen zu wollen, ist m. E. amateurhaft fahrlässig. Es zeugt von fehlendem Verständnis für Gesundheit, senologische Krankheit und medizinische Kernkompetenz.
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