Obwohl unser Berufsstand ja häufig etwas konservativ und verstaubt daherkommt, macht der technische Fortschritt auch vor unserer Ladentür nicht halt.
Früher, zu Zeiten in denen Telefone noch eine Schnur hatten und man eine Polaroidkamera sein Eigen nennen musste, wollte man mal eben schnell ein Foto machen - früher also kam ich häufig abends nach Hause und hatte das Gefühl ich hätte den ganzen Tag lang „Dingsda“ gespielt. (Dingsda war diese Spielshow mit Fritz Egner, in der zu erratende Begriffe von Kindergarten- oder Grundschulkindern umschrieben wurden.)
Beim Apothekendingsda bekam man entweder einen Einkaufszettel über den Tisch geschoben, auf dem so tolle Sachen standen wie „einmal Ritter Sport äußerlich“ oder „180 Ivan Rebroff forte“ oder man versuchte aus den weitschweifigen Ausführungen des Kunden „...so grüne Pillen in einer gelben Dose...“ das entscheidende Detail herauszuhören, um die grüne Dose mit den gelben Pillen (Dulcolax) zu erraten.
Gottlob ist das alles heutzutage viel einfacher geworden!
Dank Smartphone & Co kann der geneigte Kunde heute schnell und effizient seinen Kaufwunsch in der Apotheke artikulieren – wobei artikulieren muss er ja gar nichts mehr, denn ein Handybild sagt mehr als tausend Worte.
Nie wieder muss er sich mit Zungenbrechern wie Umckaloabo oder Dorithricin abquälen oder sich den Unterschied zwischen ASS und ACC merken. Fix ein Foto gemacht und das war`s mit Dingsda …
Auch für uns hat das Ganze enorme Vorteile, denn jetzt braucht Opa Hinkefuß uns nicht mehr mittels eines beherzten Griffes in seine Jogginghose von Größe und Qualität seine Inkontinenzvorlage persönlich zu überzeugen, ein Bild der Molinea Packung reicht hier völlig aus.
Auch Oma Nüsschen kann ihre blutverschmierte Schachtel ACCU-CHEK Aviva Teststreifen getrost zu hause lassen – ein geschmackvoll arrangiertes Foto der Packung auf ihrem Frühstücktisch gibt uns alle Infos, die wir brauchen – auch bezüglich ihres grandios schlechten HbA1c, denn neben den Sensoren erkennen wir auf dem Bild eindeutig auch noch Weißbrot, Nuss Nougat Creme und Konfitüre...
Für unsere Neu-Mitbürger aus Syrien, Afghanistan und Irak ist das Smartphone ebenfalls enorm praktisch, denn da gibt es ja diese tollen ÜbersetzungsApps, die aus Parsi oder Arabisch über Englisch schnell ins Deutsche transformieren.
Allerdings sollte man schon genau überlegen, was man dem Kunden aushändigt, wenn auf dem Handydisplay „Kaugummi zur Verhinderung der Schwangerschaft“ zu lesen ist.
Nicht so gerne gesehen sind bei mir aber die folgenden zwei Kundentypen. Ich nenne sie mal den „pseudo Aphasiker“ und den „selektiv Mutisten“:
Der „pseudo Aphasiker“ hält mir stumm sein Handy vor die Nase darauf ein Foto von Paracetamol Stada. Und während ich noch denke, wie praktisch so ein Handy doch für Leute ist, die nicht sprechen können überschüttet er mich beim kassieren mit einem Schwall übler Beschimpfungen, weil ich die Packung nicht für 38Cent verkaufe, wie doch auf dem Bild von „Medizinfuchs“ eindeutig zu sehen sei...
Der „selektiv Mutist“ hingegen vermeidet konsequent jeglichen Kontakt mit niederem Verkaufspersonal. Ohne auch nur hinzusehen wird das Arztrezept auf den Tisch geknallt, wenn die Medikamente verpackt sind, segelt der 10€ Schein hinterher und dann verlässt er grußlos den Laden. Dabei redet er die ganze Zeit ununterbrochen – aber nicht mit mir, sondern mit seinem Headset.
So weit so schön mit der schönen neuen Handywelt.
Neulich allerdings wurde ich mit einer völlig neuen Dimension der smartphonegestützten Beratung in der Apotheke konfrontiert und ich bin mir alles andere als sicher, ob mir das so gefällt...
Obwohl sie offensichtlich das ganze Wochenende intensivst mit „Dr. Google“ konferiert hatte, war die Kundin noch unsicher ob der Diagnose ihrer Beschwerden und des daraus resultierenden Selbstmedikationswunsches. Also machte sie kurzerhand ein Selfie ihrer Problemzone, um uns die Entscheidung zwischen Hämorrhoidencreme oder Zugsalbe etwas zu erleichtern... Ganz großes Kino!!!
Bildquelle (Außenseite): Alexandra E Rust, flickr