Wenn eine medikamentöse Therapie bei Epilepsiepatienten nicht wirkt, ist der nächste Schritt oft die chirurgische Entfernung des Anfallsherdes. Allerdings lässt sich schwer vorhersehen, ob eine OP tatsächlich zum Erfolg führt. Ein neues Verfahren könnte bessere Prognosen liefern.
Ob eine Operation bei Epilepsie-Erkrankten wirklich sinnvoll ist, kann man vor einem Eingriff oft nur schwer einschätzen. Ein internationales Forscherteam hat mithilfe der Diffusions-Tensor-Bildgebung zwei Gehirnregionen entschlüsselt, anhand derer sich die Erfolgsaussichten einer OP genauer als bisher vorhersagen lässt.
Mehr als 50 Millionen Menschen weltweit leiden unter Epilepsien. Bei etwa 30 Prozent der Patienten bleiben die Medikamente wirkungslos. Das ist insbesondere bei jenen Epilepsien der Fall, die ihren Ursprung im Hippocampus haben. „Eine chirurgische Entfernung des Anfallsherdes kann bei diesem Epilepsietyp zu einer nachhaltigen Besserung der Symptome oder gar Heilung führen“, berichtet Prof. Dr. Bernd Weber von der Bonner Uniklinik für Epileptologie.
Voraussetzung für den Eingriff ist eine möglichst genaue Lokalisation des Anfallsherdes im Gehirn. Trotzdem ist der Eingriff nicht bei allen Patienten erfolgreich – es kommt dann auch nach der Operation weiter zu Anfällen. Weshalb die Neurochirurgie nicht in allen Fällen der Temporallappenepilepsie helfen kann, ist noch nicht vollständig verstanden. „Ein großer Fortschritt wäre eine Methode, bereits vor der aufwendigen Operation besser einschätzen zu können, ob der Eingriff eine gute Aussicht auf Erfolg hat“, sagt Prof. Weber.
In einem Kooperationsprojekt wurde nun eine umfangreiche Studie mittels sogenannter Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) durchgeführt. Beteiligt daran waren die Universität Liverpool, die Medizinische Hochschule South Carolina, das King's College in London und die Uniklinik für Epileptologie in Bonn. Mithilfe einer MRT wurde dabei die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen in Nervenfasern des Gehirns gemessen. Die faserartigen Fortsätze der Nervenzellen übertragen wie eine Art Stromleitung elektrische Impulse und übermitteln damit Informationen. Das Forscherteam untersuchte mit der DTI insgesamt 43 Patienten mit Schläfenlappenepilepsie vor und nach der Operation. Dabei legten die Wissenschaftler ihr Augenmerk auf die Nervenfaserverbindungen im Schläfenlappen. Der Vergleich der Befunde mit gesunden Menschen, die ebenfalls mit dem Bildgebungsverfahren untersucht wurden, zeigte deutliche Veränderungen in den Nervenfaserverbindungen der Epilepsiepatienten. Darüber hinaus konnten die Forscher beobachten, wie sich diese Leitungsbahnen durch den chirurgischen Eingriff veränderten.
Veränderungen in zwei Fasertrakten des Schläfenlappens scheinen dafür verantwortlich zu sein, ob es nach der Operation zu keinen epileptischen Anfällen mehr kommt: Dies war zum einen der Fornix, ein mächtiger Faserzug, und zum anderen die Nervenfasern in der parahippocampalen Region der anderen Hirnhälfte. Mit Hilfe der Diffusionsbildgebung konnten die Wissenschaftler in mehr als 80 Prozent der Fälle vor der Operation einschätzen, ob der Eingriff Besserung bringt oder nicht. „Dies ist signifikant höher als bisherige Vorhersagemöglichkeiten“, sind sich die Forscher einig.
„Bisher ist die Vorhersagemöglichkeit des postoperativen Verlaufs mit Hilfe bildgebender Methoden wenig untersucht“, sagt Erstautor Dr. Simon Keller von der Universität Liverpool. Diese Studie sei die erste, die eine detaillierte Analyse von Gewebeeigenschaften der Nervenfasern im Schläfenlappen mithilfe der Diffusionsbildgebung mit Hinblick auf die Vorhersagekraft des chirurgischen Erfolges durchführt. „Auch wenn diese Untersuchung erste vielversprechende Resultate zeigt, ist der Einsatz in der klinischen Routine noch weiter entfernt“, sagt Prof. Weber. Die Daten zeigten jedoch das Potential, das bildgebende Verfahren hinsichtlich der Abschätzung von Erfolgsaussichten bei der chirurgischen Behandlung von Temporallappenepilepsien haben. Originalpublikation: Preoperative automated fiber quantification predicts postoperative seizure outcome in temporal lobe epilepsy Simon S. Keller et al.; Brain, doi: 10.1093/brain/aww280, 2016