Manchmal geht alles schief, was schief gehen kann. Lebensrettende Abläufe klappen nicht, Material fehlt, eine junge Patientin stirbt. Was tun mit den Niederlagen?
Bisher war es eigentlich ein normaler Arbeitsmorgen. Nach kurzer Mittagspause zwischen 15 und 15.30 Uhr geht es zurück auf die Station. Die Gynäkologin ist für drei Tage im Urlaub, der Clinical Officer ist in der Ambulanz beschäftigt. Sie haben sich gedacht, dass ich die Kollegin vertrete.
Nach der kurzen Zeit auf dieser Station fühle ich mich allerdings alles andere als kompetent. Aber so ist es nun mal. Gynäkologen sind viel zu wenige im Land verfügbar und man dachte sich, die diensthabende einheimische Kollegin, die für 24 Stunden alle Notfälle operieren und sowohl Innere, Chirurgie, Gyn und Pädiatrie managen muss, könne ja zur Not auch noch einspringen.
Von der Kirche aus sehe ich, dass die Ambulanz gerade kommt. Ein weißer Geländewagen, der den einen oder anderen Kleiderhaken im Inneren hat, sodass man eine Infusion daran aufhängen könnte – wenn denn ein Zugang gelegt ist.
„Hoffentlich keine Plazentakomplikationen“, denke ich. Noch ist ja auch nicht klar, ob es wirklich ein gynäkologisches Problem ist, das sich da ankündigt. Als ich die Pforte passiere, sehe ich, dass die Ambulanz direkt vor der Frauenstation parkt. Etwa doch Plazentakomplikationen? Ich marschiere tapfer auf das Gefährt zu.
Auf der Ladefläche etliche Personen, die mehr oder weniger gesund aussehen. Manche liegen, andere sitzen. Das Auto kommt von jenseits der Grenze aus dem Nachbarland, wo es eine abgelegene Gesundheitsstation gibt, die schwierige Fälle an uns weiterschickt. Ich frage eine der begleitenden Schwestern, wen sie uns denn hier bringt.
Eine junge Mutter, die eine Ausstülpung der Gebärmutter nach der Geburt heute Mittag habe, erfahre ich. „Das wird zu lösen sein“, denke ich und gehe erst einmal kurz nach drinnen, um zu sehen, ob sich dort Notfälle angesammelt haben, etwa mit Plazentakomplikationen. Zum Glück ist keine Patientin in der langen Reihe der Wartenden, die stärker blutet. Ein entscheidender Fehler, wie sich zeigen wird. Man muss sich immer selbst ein Bild machen. Es kann immer sein, dass die Schwestern wichtige Dinge nicht für wichtig befinden und katastrophale Zustände übersehen.
Nach einigen Minuten wird die angekündigte Patientin auf der Trage hereingefahren. Ich sehe, dass sie in Erbrochenem liegt und nicht bei Bewusstsein ist. Jetzt aber schnell. „Atmet sie? Nein! Ist der Herzschlag noch da? Ja, zum Glück!" Also zackig in den Arbeitsraum, Patientin kopfunter. Atemwege frei machen, absaugen, mehr Erbrochenes läuft aus Mund und Nase, aber sie will nicht atmen.
Eine Schwester hat endlich eine Maske gefunden, die zu groß ist für das feine Gesicht der erst 15-jährigen jungen Mutter. Dann gibt es eine Babybeatmungsmaske, die zu klein ist, aber wenigstens über Mund und Nase abschließt. Jetzt ist auch der Herzschlag weg. Ich beginne mit der Druckmassage, die Schwester versucht sich hin und wieder am Beatmen. Der von ihrem Babybeutelchen gemachte Wind bläst mir an die Hände, außerdem liegt der Kopf zu flach. „Wird sie die Druckmassage richtig machen können, während ich einen Zugang lege? Wird sie in akzeptabler Zeit einen Zugang legen können?“
Jetzt kommt auch die Diensthabende gespurtet – von mir dringend angefordert – und versucht Adrenalin intrakardial in einer Herzdruckpause. Die Patientin will nicht atmen, das Herz will nicht schlagen. Nach 5 Minuten Herzdruckmassage und Beatmen sagt die Kollegin, es habe keinen Sinn, wir sollten aufhören.
Ich will die junge Mutter nicht so schnell aufgeben und fahre fort mit der Wiederbelebung, bis mir der Schweiss von der Stirn tropft. Die Kollegin und die Schwester schauen mir dabei zu, aber dann gebe auch ich auf – hin und her gerissen zwischen dem Lebenspotential, das ich in der Patientin noch zu sehen glaube, dem viel ausführlicheren Vorgehen in Deutschland und der Meinung der einheimischen Kollegin. Immerhin ist sie gerade die Vertreterin des Chefarztes.
Nachdem wir die Patientin gelagert haben, dem begleitenden, höchstens 16-jährigen Ehemann unsere Anteilnahme ausgesprochen haben und ein wenig still beisammen gestanden haben, ist Zeit, den Überweisungsschein zu lesen. Ach ja, die Gebärmutterausstülpung. Wir schauen nach: Alles ist da, wo es hingehört. Aber wir lesen auch, die Patientin habe bei der Geburt viel Blut verloren und komme zur Bluttransfusion, obwohl wir gerade gar kein Blut haben. Es ist immer viel zu schnell aufgebraucht von den schwerkranken Kindern mit Malaria. Mit einem Hb von unter 3 kann man hier auch nicht leben. Und bis ein Spender getestet wäre...
Und ach ja, es war ja noch ein schwer kranker Patient mit dabei, der auf die Innere gebracht wurde. Er hatte seit drei Tagen Nasenbluten. Wir hören, dass auch er fast unmittelbar nach Ankunft auf der Station verstorben ist.
Eine Begebenheit wie diese ist das pure Grauen: Inkompetenz, fehlendes Material, Zuschauen statt Handeln und der Tod einer jungen Frau. Wäre ich in diesem Kontext nicht anwesend gewesen, wäre das Ergebnis dasselbe. Daraus folgt: wir müssen unbedingt, unbedingt unsere Mitarbeiter besser ausbilden. Die Vorlesungen, die es immer wieder gibt, reichen bei weitem nicht aus. Es braucht dringend praktisches Training und dieses auch einmal unter Zeidruck.
Ich selbst muss immer auf der Hut sein und die ständige Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen hinbekommen.