Viele Patienten wollen ihren Arzt auch online konsultieren und Verordnungen erhalten. Vor allem wenn es um Folgerezepte für die „Pille" oder Antihypertensiva geht, bewerten sie es als praktisch. Warum bekämpft das Bundesgesundheitsministerium Internetpraxen?
Der Bundestag hat mit deutlicher Mehrheit das vierte AMG-Änderungsgesetz verabschiedet. Böse Zungen sprechen vom „Lex DrEd“. Darin stellt der Gesetzgeber klar, dass „eine Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln grundsätzlich nicht erfolgen darf, wenn die Verschreibung offenkundig nicht nach einem direkten Arzt-Patienten-Kontakt ausgestellt wurde“. Wie Apotheker dies kontrollieren sollen, bleibt offen. Bei einer Anhörung im Vorfeld hatte sich die ABDA nicht zur Problematik geäußert. Tatsache ist, dass viele Medizinische Fachangestellte die Verordnungen für Patienten auf bereits unterschriebenen Vordrucken ausstellen. Meist handelt es sich um Folgerezepte. Geht es Hermann Gröhe eher darum, Online-Praxen wie DrEd auszubremsen? Noch hat die britische Internetpraxis ihre Informationen nicht angepasst: Screenshot: DocCheck Guter Rat ist nicht teuer. Momentan entscheiden sich 90 Prozent aller Patienten für folgende Variante: DrEd übermittelt Verordnungen an eine deutsche Versandapotheke. Von dort geht es weiter bis zur Haustür. Über Partner aus anderen EU-Ländern, beispielsweise aus den Niederlanden, lässt sich Gröhes Plan trickreich umgehen. Deutschen Apotheken entgeht künftig ein – wenn auch zahlenmäßig geringes – Geschäft. Käme das heiß diskutierte Rx-Versandverbot, hätten Online-Praxen in der Tat ein gewaltiges Problem.
Bleibt als Frage: Warum bekämpft das Bundesgesundheitsministerium Internetpraxen? Zur Erklärung heißt es, der Arzt müsse sich vom Zustand des Patienten überzeugen. „Die Regelung dient dazu, die Qualität der Versorgung zu sichern“, schreiben Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums. „Behandlungen und Diagnosen über das Telefon oder über das Internet reichen nicht aus, sondern bergen das Risiko von Fehldiagnosen und können so die Patientinnen und Patienten gefährden.“ In „begründeten Ausnahmefällen“ ist kein persönlicher Kontakt erforderlich – falls es sich um einen bekannten Patienten beziehungsweise um eine Folgeverordnung handelt. Auch hier sind Maßstäbe einer „gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft“ anzuwenden. Dass sich Gesundheitspolitiker wieder einmal nicht an den Bedürfnissen von Patienten orientieren, zeigt eine aktuelle Studie.
Die Bertelsmann Stiftung wollte von mehr als 1.000 Patienten unterschiedlichen Alters wissen, wie sie sich die ideale Versorgung vorstellen. Rund 54 Prozent stimmten der Aussage zu, Verordnungen sollten auch nach Kontakt per Internet oder Telefon möglich sein. Bei den 14- bis 29-Jährigen sprachen sich sogar 72 Prozent für diese Form aus. In der Gruppe zwischen 30 und 39 waren es 56 Prozent, bei den 40- bis 49-Jährigen 45 Prozent, bei den 40- bis 59-Jährigen 56 Prozent und darüber hinaus noch 46 Prozent. Im Zweifelsfall sollte der Arzt entscheiden, ob ein Termin in seiner Praxis erforderlich ist – oder eben nicht. Besonders gut können sich Versicherte vorstellen, Folgerezepte für die „Pille“ (53 Prozent Zustimmung), für Antihypertensiva (50 Prozent) oder für kortikoidhaltige topische Präparate (42 Prozent). Bei Antibiotika gegen eine viral ausgelöste Bronchitis würden lediglich 30 Prozent der Studienteilnehmer telemedizinischen Rat einholen. Laien wissen offensichtlich auch, wo Chancen und Risiken telemedizinischer Konsultationen liegen. Bleibt als Fazit der Autoren: „Die Ergebnisse bestätigen: Ein pauschales Verbot von Fernverschreibungen nach einer Online- oder telefonischen Arztkonsultation ist weder im Sinne der Patienten noch sinnvoll in Hinblick auf die Erprobung telemedizinischer Innovationen.“
Apropos Innovationen: Ende Juli hatte die Vertreterversammlung der Landesärztekammer (LAK) Baden-Württemberg beschlossen, das Fernbehandlungsverbot etwas aufzuweichen. Laut Paragraph 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung dürfen Ärzte Behandlungen momentan nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Jetzt sind Lockerungen möglich. Dazu wurde der Passus ergänzt: „Modellprojekte, insbesondere zur Forschung, in denen ärztliche Behandlungen ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden, bedürfen der Genehmigung durch die Landesärztekammer und sind zu evaluieren.“ Das Projekt hat jedoch seine Grenzen: Teilnehmende Ärzte dürfen nach Hermann Gröhes Vorstoß ohne persönlichen Kontakt keine Rezepte ausstellen. „Wir haben zunächst mit Bedauern auf diese Entscheidung reagiert und sind jetzt dabei, diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen“, so Dr. Oliver Erens von der LAK BW gegenüber der Bertelsmann Stiftung. „Dabei ist aber zu bedenken, dass nicht jeder Arzt-Patienten-Kontakt im Ausstellen eines Rezeptes münden muss – und vielleicht schon gar nicht bei der Telemedizin.“ Patienten wissen schon heute, was sie wollen – und suchen sich gegebenenfalls Health Professionals aus anderen Ländern.