Menschen mit generalisierter Angststörung machen sich ständig übertriebene Sorgen. Auch Kinder sind schon davon betroffen. Oft stehen somatische Symptome im Vordergrund – deshalb wird die Erkrankung häufig übersehen. Eine Psychotherapie ist in vielen Fällen hilfreich.
Trump, Erdogan, Putin, weltweite Terrorgefahr und Flüchtlingskrise: Im Moment gibt es für viele Menschen Gründe, sich Sorgen zu machen. Dennoch lassen sich die meisten davon nicht völlig aus der Bahn werfen. Anders ist es bei Menschen, die unter einer generalisierten Angststörung leiden: Sie machen sich quasi ununterbrochen Sorgen, die in den meisten Fällen unbegründet sind. Dadurch fühlen sie sich stark beeinträchtigt und sind oft nicht mehr in der Lage, ihr normales, alltägliches Leben zu bewältigen. Inhaltlich unterscheiden sich ihre Sorgen gar nicht von denen anderer Menschen – allerdings verbringen sie deutlich mehr Zeit damit: Während sich Patienten mit generalisierter Angststörung 60 Prozent des Tages Sorgen machen, ist das bei Gesunden nur in 18 Prozent der Zeit der Fall. Die Befürchtungen drehen sich dabei oft um Dinge, die sie selbst, ihre Angehörigen oder andere nahestehende Menschen betreffen: Etwa Sorgen um die eigene Gesundheit, den Job und die berufliche Leistungsfähigkeit, finanzielle Angelegenheiten, Probleme in den sozialen Beziehungen oder um ganz alltägliche Dinge. So haben die Betroffenen häufig die unbegründete Angst, dass ihrem Partner oder ihren Kindern etwas zustoßen könnte. Sie rufen diese dann mehrmals am Tag an, um sicherzugehen, dass es ihnen wirklich gut geht. Die Angehörigen fühlen sich dadurch oft genervt oder kontrolliert – so dass gerade das Verhältnis zu den Menschen leidet, die für den Patienten besonders wichtig sind. Generalisierte Ängste sind nach den Phobien – bei denen sich die Angst auf ganz konkrete Dinge bezieht, etwa Menschenmengen oder Höhe – die zweithäufigste Angststörung: Etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind im Lauf ihres Lebens davon betroffen. Auch Kinder leiden bereits unter generalisierten Ängsten, wie ein aktueller Artikel der Kinderpsychiaterin Erin Dillon-Naftolin vom Seattle Children's Hospital in den USA verdeutlicht. Bei ihnen wird die Häufigkeit generalisierter Angststörungen sogar auf über 10 Prozent geschätzt.
Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen stehen bei einer generalisierten Angsstörung oft die körperlichen Symptome im Vordergrund. So kann die ständige Angst und starke innere Anspannung zu motorischen Symptomen wie körperlicher Unruhe, Spannungskopfschmerzen oder Zittern und zu vegetativen Symptomen wie Schwindelgefühlen, Herzrasen, Magen-Darm-Beschwerden, Engegefühl in der Brust oder Atemproblemen führen. Häufig suchen die Betroffenen aus diesem Grund einen Arzt auf. Dass hinter den Symptomen ein psychisches Problem steckt, wird von den Behandlern dann häufig übersehen. „Auch wenn die Kinder oder Jugendlichen nicht über Sorgen oder Ängste berichten, sollte bei somatischen Symptomen immer auch ein Screening für Angststörungen als mögliche Ursache durchgeführt werden“, schreibt Dillon-Naftolin. „Eine generalisierte Angststörung wird häufig nicht diagnostiziert und dann auch nicht angemessen behandelt.“
Selbst wenn die ständige Besorgtheit noch nicht im Kindesalter auftritt, beginnt die Störung oft schon in jungen Jahren, meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. In diesem Alter kann die größer werdende Verantwortung – etwa durch Beruf, Heirat oder eigene Kinder – dazu beitragen, dass jemand Ängste und Sorgen entwickelt. Als Auslöser spielen zudem oft belastendende Lebensumstände eine Rolle. Gleichzeitig berichten die Betroffenen häufig, schon vor Beginn der Erkrankung besonders ängstlich oder nervös gewesen zu sein. Mädchen und Frauen sind häufiger von generalisierten Ängsten betroffen – Frauen etwa doppelt so oft wie Männer. Warum dies so ist, ist bisher nicht genau bekannt. Neben den körperlichen Symptomen treten typische psychische Symptome auf: Dazu gehören Konzentrationsstörungen, Nervosität, Schlafstörungen sowie Derealisation (bei der die Umwelt als fremd oder unwirklich empfunden wird) und Depersonalisation (bei der jemand sich selbst oder seinen Körper als fremd, unwirklich oder nicht zu sich selbst gehörig erlebt). Nach der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) müssen die Symptome mindestens sechs Monate lang vorliegen. Weiterhin muss eine organische Ursache für die Beschwerden – etwa eine Hyperthyreose – ausgeschlossen sein.
Hinter den vielfältigen Sorgen und Befürchtungen können ganz unterschiedliche Ursachen stecken. Experten gehen davon aus, dass die Patienten genetisch bedingt eine erhöhte Vulnerabilität für die Entwicklung starker Angst haben. Diese Veranlagung kann durch anhaltenden Stress oder belastende Ereignisse dann zu den anhaltenden Sorgen und Befürchtungen führen. Die Betroffenen befinden sich in einem Zustand ständiger Wachsamkeit und überschätzen die Wahrscheinlichkeit für negative Ereignisse stark. Auch wenn die Eltern in der Kindheit besonders behütend waren, könnte dies zur Entstehung der Erkrankung beitragen – denn so machen die Kinder nicht die Erfahrung, dass sie Probleme alleine bewältigen können. Einige Forscher nehmen an, dass das anhaltende Sich-Sorgen eine Art „Problemlöseprozess ohne Problemlösung“ ist. Durch das ständige Durchspielen aller möglicher Katastrophen haben die Betroffenen das Gefühl, auf diese Weise tatsächliche Katastrophen verhindern zu können – nach dem Motto: „Ich muss mich ständig sorgen, sonst passiert noch etwas Schlimmes“. Die gedankliche Beschäftigung mit den Sorgen führt vorübergehend zu Beruhigung – allerdings werden die Ängste auf diese Weise nicht emotional verarbeitet und bleiben langfristig bestehen. Obwohl die Symptome im Lauf der Zeit oft stärker und vielfältiger werden und die Erkrankung dazu neigt, chronisch zu werden, lässt sie sich mit geeigneten Maßnahmen gut behandeln. Dazu gehört vor allem eine Psychotherapie, die in einigen Fällen durch Medikamente ergänzt wird.
Als besonders geeignet hat sich bei Angsterkrankungen die kognitive Verhaltenstherapie erwiesen. Hier erfahren die Patienten zunächst, durch welche Faktoren ihren Ängste und Sorgen entstehen. Anschließend lernen sie Strategien, um mit ihren Ängsten umzugehen. Dazu gehört vor allem, sich seiner Angst in Gedanken („in sensu“) und in realen Situationen („in vivo“) zu stellen. Auf diese Weise können sie die Erfahrung machen, dass die befürchteten Katastrophen gar nicht eintreten. Gleichzeitig werden so die Ängste und Befürchtungen emotional verarbeitet, so dass die Angst schließlich von alleine nachlässt. Außerdem werden in der Therapie Entspannungsmethoden eingeübt, die dazu beitragen, die hohe innere Anspannung zu verringern. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine Verhaltenstherapie bei generalisierten Ängsten zu einer deutlicher Besserung der Symptome führt, die auch über die Therapie hinaus anhält. Ergänzend können bei schwerer ausgeprägten Ängsten Antidepressiva, meist aus der Gruppe der selektiven Seretonin- und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI und SSNRI) verordnet werden. Sie beeinflussen das Serotoninsystem im Gehirn, das bei Angsterkrankungen aus dem Gleichgewicht geraten ist, und können so dazu beitragen, die Ängste zu verringern. Auch ältere Erwachsene leiden nicht selten an einer generalisierter Angststörung – und auch bei ihnen führt eine kognitive Verhaltenstherapie zu deutlichen Verbesserungen, wie eine aktuelle Metaanalyse zeigt. Dabei wurde vor allem eine deutliche Verringerung der Sorgen beobachtet. Die Veränderungen waren auch noch sechs Monate nach Therapieende zu beobachten.
Bei Kindern und Jugendlichen ist eine kognitive Verhaltenstherapie ebenfalls die Therapie der Wahl. In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, sie mit SSRI zu kombinieren – insbesondere bei mittelschwer bis schwer ausgeprägten Ängsten. „Bei jungen Patienten kann dabei vor allem die Anwendung eines Entspannungsverfahrens sinnvoll sein, um die hohe körperliche Erregung zu reduzieren, die zu den unterschiedlichen somatischen Symptomen führt“, so Dillon-Naftolin. Außerdem sollten bei Kindern und Jugendlichen auch die Eltern in die Therapie einbezogen werden. Sie können ihren Kindern vorleben, Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Ereignisse zu akzeptieren. Und sie können ihnen zeigen, dass das Leben gar nicht so besorgniserregend ist, wie es aus Sicht der Betroffenen scheint.