Die Flüchtlingsdebatte ist in aller Munde, jeder hat dazu eine Meinung. Es gibt viele Probleme und Herausforderungen, aber wenn diese zunächst noch abstrakte, irgendwo stattfindende Debatte plötzlich konkret in Form von Flüchtlingen im eigenen Dorf, vor der eigenen Haustür steht, kann es nur eine Antwort geben: Mehr Menschlichkeit.
Bereits seit Wochen brodelt es in dem kleinen Dorf irgendwo in Brandenburg, in dem ich arbeite. Ein Flüchtlingsheim soll gebaut werden, schnell, für 300+ Flüchtlinge, mitten auf die grüne, landeseigene Wiese. Natürlich gab es nach Bekanntwerden dieser Nachricht Proteste, es gab eine Bürgerbewegung gegen das Heim, die unter anderem mit den dorfbekannten NPD-Mitgliedern bestückt war, und auch eine Bürgerbewegung für das Heim.
Viel wurde diskutiert, die Anwohner befürchteten eine Abwertung ihres schönen Viertels, ein Wertverlust ihrer Immobilie, und und und. Außerdem, was sollen die Flüchtlinge den ganzen Tag lang machen? Keine Einkaufsmöglichkeiten, keine Freizeitmöglichkeiten, nichts in der Nähe, außer eine gut ausgelastete Fernstraße und ein Busverkehr einmal die Stunde.
Der Standpunkt ist nicht ideal, ein Container/Zeltdorf als Unterkunft für mehrere Monate gewiss auch nicht. Zur Diskussion stand auch die ärztliche Versorgung der Flüchtlinge, bei nur insgesamt 3 Ärzten im Gemeindegebiet. Alle Ärzte haben sofort ihre Unterstützung zugesichert, darunter auch ich.
Wir diskutieren, ob wir ehrenamtlich mehrmals in der Woche dort abwechselnd „Sprechstunden“ abhalten wollen und wie wir uns sonst einbringen können. Es ist für die Menschen, die dort leben werden, sonst recht mühsam, ärztliche Betreuung zu bekommen.
Das Heim liegt so abgelegen, außerdem müssen sie zunächst den Behandlungsschein holen, den gibt es aber nur im Nachbarort, um dann in den anderen Ortsteil zu kommen, wo die Praxen sind. Das ist mit der eingeschränkten Busverbindung bzw. mit langen Fahrradwegen, gerade für Kranke, doch sehr schwer zu bewältigen.
Natürlich gibt es viele Dinge, die vor allem von der Politik, vom Bund, von den Ländern, bis hin zum Landkreis verbessert werden müssen. Natürlich muss man sich um die Ursachen der Flüchtlingsströme kümmern. Natürlich muss ein System/Gesetz geschaffen werden, dass möglichst gerecht mit den Menschen umgeht, die hier Asyl suchen und auch mit denen, die hier schon leben.
Wenn aber so eine große Gruppe von Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung Hilfe braucht, und schon so viel durchgemacht hat, dann muss ich helfen. Gerade auch als Ärztin, die wirklich gebraucht wird und eine Hilfe anbieten kann, die nicht viele anbieten können.
Als deutsche Staatsbürger haben wir alle das große Glück gehabt, in einem privilegierten Land geboren zu sein, in dem zwar nicht Milch und Honig fließen, aber es uns doch deutlich besser ergeht als in vielen anderen Ländern. Von diesem Glück können wir ruhig abgeben, es wird uns dadurch nicht wirklich schlechter ergehen. Deswegen helfe ich. Und zum Glück gibt es auch viele, viele Menschen aus der Gemeinde und unter meinen Patienten, die ähnlich wie ich denken und mithelfen.
Gerade nach den vielen „Negativ“- Beispielen aus Ostdeutschland hatte ich Befürchtungen, dass das hier auch so sein würde. Dem ist zum Glück nicht so. All denen, die auch als meine Patienten „Asylkritik“ üben – rationale, vernünftige Argumente wie eine geforderte Dezentralisierung der Flüchtlinge oder Kritik an der momentan vorherrschenden Politik kann ich durchaus nachvollziehen.
Dumpfe, fremdenfeindliche Aussagen à la „Alle Ausländer sind kriminell/Betrüger/ Vergewaltiger/ haben keine Kultur und sollen verschwinden!!!!“ stoßen bei mir immer auf Widerworte. Mittlerweile wissen das meine Patienten und lassen solche Aussagen mir gegenüber bleiben.
Zu guter Letzt zu dem Argument „Wir können doch nicht die ganze Welt retten!“: Stimmt, können wir nicht. Müssen wir auch nicht. Es reicht, wenn wir bei den Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung anfangen. Und dort sind jetzt bald 300 Menschen mehr, die wirklich Hilfe brauchen. Helfen wir doch erstmal denen. Mehr Menschlichkeit. Das täte uns allen gut.