Die Qualifikation der Dozenten vorklinischer Fächer ist enorm vielfältig. Ziel des Grundstudiums bis zum Physikum ist die Vorbereitung auf den klinischen Abschnitt, jedoch sind nur ein Bruchteil der Dozenten vorklinischer Fächer Ärzte. Das bleibt nicht ohne Folgen.
Vielfalt
Das erste vorklinische Fach, dem der Student in der Humanmedizin begegnet, ist in aller Regel die Anatomie. Häufig eröffnen die Chefs der anatomischen Institute sogar die Einführungswoche. Zudem ist die Anatomie mit Präparierkurs das ureigene medizinische Fach schlechthin, das in keinem anderen Studiengang angeboten wird. Dazu gesellen sich die Physiologie und Biochemie als die beiden anderen Eckpfeiler des präklinischen Studiums und des 1. Abschnittes der ärztlichen Prüfung (= Physikum).
Im Rahmen der Anatomie bzw. des Präpkurses sollen, insbesondere seit Einführung der neuen Approbationsordnung (die inzwischen gar nicht mehr so neu ist) klinische Zusammenhänge gelehrt und veranschaulicht werden.
Jedoch ist ein großer Teil der Dozenten in der Anatomie und auch den anderen vorklinischen Fächern aus allen möglichen Fachrichtungen – nur nicht aus der Humanmedizin.
In der Anatomie finden sich mit deutlicher Häufung Tiermediziner (!) und Biologen, in der Physiologie häufig Physiker und in der Biochemie vor allem Chemiker, Biochemiker und (Molekular)Biologen.
Für eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung ist das prinzipiell nicht falsch, besitzen diese Berufsgruppen doch Erfahrungen und Methodologien, die einen breiter gefächerten Einblick gewährleisten. Schließlich sind sie in ihrem jeweiligen Fach ausgebildet und ihr Kenntnisstand reicht um ein vielfaches weiter, als es der Gegenstandskatalog für den Mediziner vorsieht und von diesem verlangt.
Jedoch ist Sinn und Zweck der Vorklinik nicht nur die wissenschaftliche Grundausbildung, sondern die wissenschaftliche Grundlagenvermittlung im Kontext der Humanmedizin. Daher tragen die entsprechenden Grundlagenfächer Chemie, Physik und Biologie in der Regel die Endung "- für Mediziner" und sind häufig weder identisch mit den Kursen in anderen Studiengängen, noch anrechenbar bzw. in anderen Studiengängen erwerbbar.
Das bedeutet, dass die vermittelten wissenschaftlichen Grundlagen nach Möglichkeit im klinischen Kontext stehen sollen. Jedoch funktioniert das häufig nicht, da die nichtärztlichen Dozenten keinerlei klinische Ausbildung oder Erfahrung haben.
Das von ihnen vermittelte Wissen ist ihrerseits in der Regel "angelesen" – auf diesem Niveau befindet sich dann auch häufig die Qualität der Informationen die sie weitergeben, bezogen auf den humanmedizinischen Kontext.
Ernüchterung
Zwei Beispiele sollen diesen Aspekt exemplarisch darstellen. In der Anatomie wird häufig vermittelt, dass bei Leberzirrhose ein Caput medusae entsteht. Dieses findet sich jedoch im Schnitt nur bei einem von 100 Patienten, zum Teil seltener.
Insbesondere Vorklinikbücher enthalten häufig keine Angaben zu Epidemiologien. Sie schildern, dass es vorkommt, ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass ein Fehlen dieses Symptoms die Erkrankung nicht ausschließt.
Da die nichtärztlichen Dozenten nie Patienten aus ärztlicher Sicht gesehen und keine klinischen Fächer belegt haben, nehmen sie diese Information unreflektiert auf und prüfen sie später im Rahmen von Testaten ab. Bis auf eine wenige exotische Ausnahmen gibt es keine klinischen Fächer (Innere Medizin, Chirurgie usw.) in Studiengängen außerhalb der Humanmedizin.
Ein anderes Beispiel ist die Physiologie des Herzens. An der hiesigen Fakultät wird sie von einem in der Inneren Medizin bzw. Kardiologie erfahrenen Arzt gelehrt, an anderen jedoch zum Teil von Physikern, die zwar detailliert auf Funktion und Abläufe eingehen. Jedoch gibt es eine Reihe von Aspekten, die, ganz ohne ärztliche Sicht auf die Materie, untergehen. Auch in der Vorklinik sind solche Punkte bereits relevant, zumal sie vermehrt im schriftlichen Physikum abgefragt werden. Zudem sind theoretische Zusammehänge mit klinischem Bezug nützlich zum Verständnis der Pathophysiologie.
Von Seiten der ärztlichen Dozenten werden derartige Sachverhalte zumeist deutlich differenzierter dargestellt. Jedoch sind Ärzte in den vorklinischen Fächern selten, ausgebildete Fachärzte der Grundlagenfächer noch seltener. Es gibt drei Facharztweiterbildungen, die primär (aber nicht ausschließlich) der Lehre in den vorklinischen Fächern dienen: den Facharzt für Anatomie, den Facharzt für Physiologie und den Facharzt für Biochemie. Nach der Statistik der Bundesärztekammer waren 2014 als berufstätig gemeldet: 108 Fachärzte für Anatomie, 105 Fachärzte für Physiologie und 46 Fachärzte für Biochemie.
Allerdings sind – in allen drei Gruppen – nur etwa 10% davon an den Hochschulen tätig. Der Rest findet sich verteilt auf andere Arbeitsumfelder. Ein gewisser Anteil davon hat sich als praktischer Arzt niedergelassen, bevor die Facharztweiterbildung Pflicht zur Kassenzulassung war.
In jedem Falle fehlen diese ausgebildeten "Vorkliniker" in den entsprechenden Instituten und Einrichtungen der medizinischen Fakultäten.
Selbst wenn ein Absolvent unmittlebar nach seinem Studium eine vorklinische Facharztweiterbildung absolviert hat, ist dieser bezüglich des Gesamtverständnisses medizinischer und klinischer Zusammenhänge jedem anderen, der "angelernt" ist, überlegen. Vor allem aber weiß letztlich der Facharzt, was überhaupt in einer Klinik von ärztlicher Seite aus passiert. Dafür sorgt das praktische Jahr bzw. in früheren Zeiten auch noch der Arzt im Praktikum.
Im Ergebnis führt das Fehlen dieser Erfahrungen dazu, dass der Nichtmediziner sich in die Anatomie oder Physiologie "einliest" und am Ende Lehrbuchwissen wiedergibt bzw. abfragt. Das Ziel des Grundstudiums ist jedoch die Vorbereitung auf die klinischen Fächer – die hat aber nur der Arzt selbst absolviert.
Die Folge ist, dass der Student im Verlauf der Vorklinik Wissen aneignet, das die Dozenten selbst ebenso aus Lehrbüchern angeeignet haben, womit das Ziel einer vorklinischen Ausbildung mit klnischem Bezug nur bedingt erreicht werden kann.
Zwar sind wissenschaftliche Grundlagen von zentraler Bedeutung für den Humanmediziner. Dennoch nimmt dies z.T. absurde Züge an, wenn diese von Tierärzten ausgebildet werden die bspw. nicht einmal die humanmedizinsiche anatomische Nomenklatur beherrschen oder wenn Physiker Studenten derart im Detail mit absurden Fragestellungen begegnen, dass das Ziel der Vorbereitung auf den klinischen Abschnitt, aber auch das Ziel Physikum, vollständig aus den Augen verloren wird.
Wissenschaftlich fundierte Ausbildung ist kein Selbstzweck. Wäre sie das, dann müsste konsequenterweise für alle naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer eine einheitliche Grundlagenausbildung geschaffen werden, was der Natur der Sache nach absurd ist.
Stattdessen werden die Grundlagenfächer kontextbezogen gelehrt: Physik / Chemie / Biologie für Mediziner unterscheidet sich beispielsweise von Physik / Chemie / Biologie für Pharmazeuten oder Geologen deutlich im Schwerpunkt. Aus gutem Grund.
Konsens
Es ist zu bezweifeln, dass es der Sache dienlich wäre, wenn nur noch Ärzte die vorklinische Ausbildung durchführen würden.
Verschiedene Fachrichtungen in der Dozentenschaft tragen zur wissenschaftlichen Vielfalt bei. Eine ausbalancierte Mischung wäre ideal.
Derzeit allerdings sind Ärzte in der Vorklinik zumeist Exoten – es fehlt das gesunde Maß an ärztlichem Erfahrungsstand, der in die vorklinische Ausbildung einfließt.
Stattdessen beschreiben Studenten häufig ein Gefühl der Notwendigkeit "umzudenken", sobald das Physikum hinter ihnen liegt, weil die klinische Ausbildung zum Teil in jeder Hinsicht von der vorklinischen unterscheidet.
Mehr Interaktion zwischen Klinikern und Vorklinikern könnte die Situation verbessern, vornehmlich wären jedoch mehr Ärzte in vorklinischen Fächern wünschenswert. Warum es so wenige gibt, lässt sich nur grob erahnen. Die Situation für sie ist gut: ein Arzt, der sich in einem vorklinischen Institut um eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter (gegebenenfalls mit Aussicht auf Erwerb der entsprechenden Facharztbezeichnung) bewirbt wird in den meisten Fällen allen anderen nichtärztlichen Bewerbern vorgezogen.
Zudem sind vorklinische Ärzte familienfreundlich tätig: es gibt keine Dienste und zumeist keine Wochenendarbeit. Einige der vorklinisch tätigen Ärzte sind auf Grund ihrer klinisch-theoretischen Ausbildung sogar als Ausbilder für Fachärzte in anderen Einzeldisziplinen tätig. Der Facharzt für Physiologie gilt hier als besonders vielseitig.
Zudem sind vorklinische Institute prinzipiell angehalten, eine Oberarztstelle zu besetzen – auch wenn Oberarzt für Anatomie oder Physiologie zunächst etwas merkwürdig anmutet. Einen "Oberarzt für Biochemie" hingegen kennt nicht einmal Google, vorgesehen wäre es jedoch in einem entsprechenden Institut.
Ein Mehr an Ärzten in der vorklinischen Ausbildung könnte dazu beitragen, dass der Übergang vom Grund- zum Hauptstudium weniger kritisch ist und bereits in den ersten Semestern sinnvolle (!) klinische Sachverhalte wissenschaftlich, aber im Kontext ärztlichen Handelns, vermittelt werden, damit das Ziel des Studiums besser angesteuert werden kann: die Ausbildung zum klinisch tätigen Arzt, der über wissenschaftliche Grundlagen verfügt – so wie es die Approbationsordnung vorsieht, deren Umsetzung mitunter nicht immer im sinnvollen Maß gelingt.
Auch wenn nicht jeder Absolvent am Ende tatsächlich klinisch tätig wird oder überhaupt werden möchte, trifft dies auf das Gros zu.
Diesem Umstand Rechnung zu tragen und dem dargestellten Problem in entsprechender Weise zu begegnen trägt letztlich dazu bei, die Qualität der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Bildnachweise
Titelbild:
Rolf Handke / pixelio.de
Bilder im Text (von oben nach unten):
Wolfgang Dirscherl / pixelio.de
Katharina Wieland Müller / pixelio.de
Dieter Schütz / pixelio.de