Rund 52 Millionen Stunden opfern Deutschlands niedergelassene Ärzte pro Jahr für Verwaltungsaufgaben. Nicht jeder Vorgang ist sinnvoll und notwendig. Im „Formularlabor“ suchen Mediziner und Kassen deshalb nach Lösungen.
In jeder Arztpraxis werden pro Jahr durchschnittlich 2.800 Überweisungen, 600 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und 300 Heilmittelverordnungen ausgestellt. Behandlungspläne und weitere Informationspflichten, die durch Arzt-, Psychotherapeuten- und Zahnarztpraxen zu erfüllen sind, kommen mit hinzu. Bereits Mitte 2015 veröffentlichte der Nationale Normenkontrollrat (NKR) derart erschreckende Zahlen. „Das ist wertvolle Zeit, die den Ärzten und Zahnärzten für die Behandlung fehlt“, sagt der stellvertretende NKR-Chef Wolf-Michael Catenhusen. Bei Kollegen rennt er damit offene Türen ein.
Jetzt präsentieren die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) und die Fachhochschule des Mittelstandes eine Möglichkeit, um den Verwaltungsaufwand zu quantifizieren. Sie haben anhand eines Bürokratieindex gezeigt, wie viele Stunden sich niedergelassene Kollegen tatsächlich mit Verwaltungsarbeiten beschäftigen. Ihre Resultate: Die zeitliche Belastung durch Informationspflichten im Bereich der Selbstverwaltung ist in 2016 um magere 4,72 Prozent nach unten gegangen. Als Nulllinie diente das Jahr 2013. Hatten sich Kollegen damals noch 54,96 Millionen Stunden mit administrativen Belangen gequält, waren es in 2016 genau 52,37 Millionen Stunden. Dementsprechend verringerte sich der Bürokratieindex vom Basiswert 100 auf 95,28. Im Bereich der KVWL bedeutet dies aktuell 57 Arbeitstage pro Arzt oder Psychotherapeut für rein administrative Aufgaben. Der Bürokratieindex soll regelmäßig aktualisiert werden, um Trends zu erfassen und um Druck auf Verantwortliche auszuüben.
Quelle: Bürokratieindex 2016 Einige Details aus der Untersuchung. Als Top-Belastungen schlugen Aufklärungen von Patienten bei Überschreitung der Festbetragsgrenze, Formulare zur Krankenbeförderung und AU-Bescheinigungen zu Buche. Hier ließen vor allem steigende Fallzahlen den Aufwand nach oben gehen. Dem standen Entlastungen bei Überweisungen, AU-Bescheinigungen nach Ablauf der Entgeltfortzahlung und bei Dokumentationen im Rahmen des Qualitätsmanagements gegenüber. „Die größten Zeitfresser sind weiterhin die Anfragen der Krankenkassen, ob formlos oder in geregelter Form, sowie Kur- und Reha-Anträge“, so Dr. Prosper Rodewyk, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin, im Report. „Ebenso die wachsende Zahl der Anfragen der Versorgungsämter und Sozialgerichte. Hier besteht noch großer Handlungsbedarf.“ Jetzt besteht dringender Handlungsbedarf. „Um den Vertragsärzten und -psychotherapeuten trotz dieser gesellschaftlichen Entwicklung auch zukünftig ausreichend Zeit für die Versorgung der Patienten zu ermöglichen, müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die am häufigsten anfallenden Prozesse zu verschlanken“, schreiben die Autoren als Fazit.
Große Worte. Nur wie gelingt es, diese Forderungen auch umzusetzen? Vor fünf Jahren ist in Westfalen-Lippe ein „Formularlabor“ entstanden. Jetzt liegt ein Zwischenbericht vor. Das Besondere am Projekt sind engmaschige Kontakte zwischen der Barmer GEK, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und der regionalen KV. Alle drei Partner arbeiten gemeinsam an der Optimierung von Verwaltungsprozessen. Während ihrer Arbeit stieß das Team auf unterschiedliche Schwächen im aktuellen Pool an Vordrucken. Der Status quo: Viel Chaos beim Inhalt und beim Layout. Quelle: Zwischenbericht Formularlabor / KVWL Ihre Optimierungsvorschläge:
Wie es zu dieser Vielfalt an Schwachstellen kommen konnte, ist klar: Das Formularwesen stammt aus einer Zeit ohne Datenverarbeitung. Die Belege wurden lediglich auf Filmen archiviert. Heute lautet das Ziel, über die Praxis-EDV Prozesse zu synchronisieren. Laut E-Health-Gesetz sind ohnehin alle Formulare auf ihre Digitalisierbarkeit hin zu überprüfen. Hoffen wir auf weitere Möglichkeiten, Zeit einzusparen. „Bürokratie ist alles, was nicht unmittelbar mit der Behandlung, Untersuchung und Beratung von Patienten zu tun hat und somit den Praxisablauf stört. Die verlorene Zeit steht dem Arzt nicht mehr für seine Patienten zur Verfügung“, erklärt Dr. Prosper Rodewyk.