Die heutige Generation von Medizinern sieht einer Zukunft ohne Antibiotika, einer Art prä-Fleming Ära, entgegen. Neue Strategien sind von Nöten, dabei könnte die Immunologie einen Teil der Antwort parat haben. Das Stichwort lautet "nutritional immunity".
Ausgebremst
Ein jeder Mikroorganismus benötigt, genau wie ein Insekt oder eine zwei Meter hohe Giraffe Elektrolyte bzw. Metallionen und Spurenelemente. Eines der zentralen Elemente ist Eisen.
Mikroorganismen und Pflanzen besitzen Siderophore, eine heterogene Gruppe niedermolekularer Stoffe, denen ihre Funktion gemeinsam ist: sie halten Eisen(III) durch Bildung von Chelatkomplexen in Lösung. Für die Aufnahme in den Organismus binden die mit Eisenionen beladenen Siderophore an spezifische membranständige Rezeptoren.
Ein Teil der angeborenen Immunabwehr ist der Entzug von Eisen oder auch die Nutzung fremder Siderophore. Dies geschieht auf verschiedenen Wegen: im Darm und an Schleimhäuten konkurrieren nichtpathogene Bakterien um das Eisen, vor allem E. Coli.
Einzelne Erreger wie bspw. Yersinia pestis oder Pseudomonas aeruginosa besitzen hochaffine Siderophore, die als Virulenzfaktoren wirken, um in diesem Wettstreit konkurrieren zu können.
Das Aushungern von Pathogenen durch Entzug von Eisen - und im weiteren Sinne anderer essentieller Metallionen - wird als nutritional immunity bezeichnet.
Ausgespielt
Ein großer Teil des bisherigen Erkenntnisstandes zu Siderophoren stammt von Beobachtungen an Pflanzen und Bakterien. Untersuchungen mit menschlichem Gewebe oder gar an Patienten fanden bisher praktisch nicht statt.
Dabei ist eines klar: die Notwendigkeit dafür ist gegeben. Die Inzidenz multiresistenter und teils sogar vollresistenter Keime steigt langsam, aber dennoch stetig, an. Neue Strategien müssen her, deren mechanistischer Ansatz eine Resistenz von Beginn an unmöglich macht. Der Entzug von Nährstoffen könnte dazu gehören. Die Bildung von Resistenzen setzt eine durchaus große Zahl an Zellteilungen voraus. Werden von Beginn an essentielle Metallionen vorenthalten, kommt es gar nicht erst zu einer ausreichenden Anzahl an Teilungsvorgängen, um die Ausbildung von Resistenzmechanismen zu ermöglichen – soweit die Theorie.
Fraglich ist, wie sich die aus den Erkenntnissen um die Siderophore bekannten Mechanismen zielgerichtet nutzen lassen. Eine Möglichkeit wäre das Neutralisieren der pathogenen Siderophore, ein anderer die Erhöhung der Affinität der physiologischerweise vorkommenden humanen Siderophore. Damit dies nebenwirksarm (bzw. möglichst -frei) der Fall ist, müsste der Wirkmechanismus eines Arzneistoffes in höchstem Maße spezifisch für diese Moleküle sein.
Ob und inwieweit diese Form der Zieltherapie jemals das Licht der Welt erblicken und für die massenhafte Anwendung als Pharmazeutikum geeignet sein wird, ist ungewiss. Sinnvoll wäre es – zum einen, weil es praktisch keine alternativen Ansätze zum bisherigen Antibiotikakonzept (= Störung der Zellteilung oder der Proteinbiosynthese) gibt, zum anderen weil wohl nicht damit zu rechnen ist, dass die Häufigkeit des Auftretens multiresistenter Erreger in absehbarer Zeit zurückgehen wird.
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