Solanezumab, ein vielversprechender Antikörper gegen Beta-Amyloid, enttäuschte bei einer großen randomisierten Studie. Jetzt ist guter Rat teuer: Lag es am Design der Untersuchung oder sind Wissenschaftler generell auf dem falschen Dampfer?
Seit Forscher wissen, dass Ablagerungen von Beta-Amyloid bei Morbus Alzheimer auftreten, versuchen sie, therapeutisch einzugreifen. Nach erfolgversprechenden Ansätzen brachten zwei große Phase-III-Studien mit Bapineuzumab nicht die gewünschten Ergebnisse. Johnson & Johnson und Pfizer gaben daraufhin bekannt, keine weiteren Projekte voranzutreiben. Davon ließ sich Lilly nicht abschrecken. Der Hersteller setzte eine große randomisierte Studie auf - und scheiterte ebenfalls.
Für seine multinationale Phase-III-Studie EXPEDITION3 rekrutierte der Konzern 2.100 Alzheimer-Patienten mit milden Symptomen. Sie erhielten 18 Monate lang Bapineuzumab oder Placebo. Anschließend gab es eine offene Folgestudie. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor. Forscher fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen. Der primäre Endpunkt wäre gewesen, Verzögerungen der kognitiven Leistungsfähigkeit gegenüber Scheinmedikamenten nachzuweisen. Selbst sekundäre Endpunkte, die eine Tendenz andeuten, sind als eher schwach zu bewerten. Wie schätzen Experten die Resultate ein?
Christian Haass. Quelle: LMU Professor Dr. Christian Haass vom Adolf-Butenandt-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) warnt: „Auf keinen Fall sollte jetzt wieder die unsägliche Debatte losgetreten werden, dass Amyloid das falsche Zielmolekül ist.“ Er spekuliert, Solanezumab würde anders als Aducanumab monomeres Amyloid im Blut erkennen und abfangen. Die Antikörpermenge reiche nicht mehr aus, um aggregiertes Amyloid im Gehirn abzubauen. Ähnlich äußert sich Professor Dr. Stefan Remy vom Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn: „Aufgrund der kürzlich veröffentlichten Ergebnisse zur Wirksamkeit von Aducanumab bei Patienten mit prodromaler und milder Alzheimer-Erkrankung war das Feld durchaus in hoffnungsvoller Erwartung der Phase-III-Studienergebnisse zu Solanezumab.“ Er spricht von einem Rückschlag für Therapieansätze, die auf der Verringerung von Amyloid beta beruhen, will aber keine voreiligen Schlüsse ziehen. „Zum jetzigen Zeitpunkt sollte die Botschaft sein, unbedingt die Grundlagenforschung weiter voranzutreiben, um sowohl neue als auch bekannte Krankheitsmechanismen zu verstehen“, sagt Remy. Hans-Ulrich Demuth. Quelle: Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI Liegt es vielleicht auch an pharmakokinetischen Effekten? „Bei einer angenommenen Verteilung zwischen Blutbahn und Hirn von 99,9 Prozent zu 0,1 Prozent gelangt also nur wenig Material hinter die Blut-Hirn-Schranke“, gibt Professor Dr. Hans-Ulrich Demuth zu bedenken. Er arbeitet am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI, Halle. Demuth weiter: „Das könnte unter Umständen auf eine schlechte Stöchiometrie des monoklonalen Antikörpers gegen die Zielproteine, Monomere, Oligomere und / oder Fibrillen hinweisen.“ Er zweifelt auch an der von Lilly formulierten „Sink-Hypothese“. „Sink“ bedeutet „Abfluss“. Demnach verschieben Antikörper das Amyloid-Gleichgewicht vom Gehirn in Richtung Zirkulation. „Das heißt, es könnte auch die Sink-Hypothese nichts taugen“, so Demuth. Am wissenschaftlichen Konzept hält der Experte aber fest. „Die Ergebnisse der Studie sind kein Rückschlag für die Amyloid-Hypothese an sich, da Aducanumab dosisabhängig sowohl Verminderung der Ablagerungen (mittels Positronen-Emissions-Tomographie) als auch Kognitionsverbesserung zeigt, wie auf der Alzheimer's Association International Conference in Toronto im Juli 2016 vorgestellt wurde.“
3D-Modell der Betasekretase. Quelle: http://proteopedia.org Beta-Amyloid bleibt damit im Fokus vieler Labors. Statt auf Antikörper setzen Forscher jetzt auf Beta-Sekretase (BACE)-Inhibitoren. Die Moleküle hemmen Enzyme, die an der Produktion von Beta-Amyloid beteiligt sind.
Bleibt als Hypothese, dass Pharmakotherapien viel zu spät ansetzen. Per Amyloid-PET oder per Liquoruntersuchung gelingt es, Patienten zu identifizieren, die sich noch in der Prodromalphase befinden. Sie werden im Rahmen von APECS („Efficacy and Safety Trial of Verubecestat (MK-8931) in Participants With Prodromal Alzheimer's Disease“) Verubecestat oder Placebo erhalten. Geplant ist, 1.500 Teilnehmer zu rekrutieren. Damit nicht genug: Im Tierexperiment ist es gelungen, Plaques per Ultraschall aufzulösen. Elektromagnetische Wellen spielen auch eine Rolle, um Medikamente durch die Blut-Hirn-Schranke zu transportieren. Noch sind Forscher um Ideen nicht verlegen.