Nicht nur die medizinbildungs-, klinik- und vertragsärztlich versorgungsfremde Techniker Krankenkasse (TK) will auf den abfahrenden Zug der Zukunftstechnologien im Gesundheits- bzw. Krankheitswesen mit digitaler Vernetzung, e-Health-Card, Online-Angeboten, Apps für Chroniker, Netz-Doc, Doc-Netz, Telemedizin bzw. Forschung und Entwicklung im gesamten medizinisch-technischen Komplex aufspringen.
„Digitalisierung wird den Versorgungsalltag dramatisch verändern“, heißt es bei der TK in ihrem Geschäftsbericht 2014. In welche Richtung die E- HEALTH-Bewegung, die ja eigentlich „E-DISEASE“ heißen müsste, in Klinik und Praxis geht und mit welchen Chancen und Risiken sie behaftet ist, war Thema eines Zukunftskongresses, zu dem die TK vor 4 Tagen, am 2.9.2015, dreißig Referenten/-innen und 300 Gäste nach Berlin eingeladen hat.
Wobei wir ambulant tätigen Vertragsärztinnen und -ärzte unsere Patienten mit gedeckeltem Regelleistungs- und Gesamtvolumen nicht nur technologisch auf dem neuesten Stand umfassend nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens untersuchen, beraten und behandeln sollen. Zugleich sollen wir zusätzlich den rein verwaltungsmäßig operierenden GKV-Kassen-Bürokratien Datenzugänge und EDV-Management ihrer Versicherten ermöglichen und ebenso innovativ und kreativ wie konstruktiv möglichst ohne jede Gegenleistung ihre GKV-Verwaltungsarbeiten erleichtern.
Bei Kreiskrankenhäusern bis zu Universitätskliniken sieht das nicht anders aus: Ärztinnen und Ärzte nebst geschultem Fachpersonal sollen nach DRG („diagnosis related groups“) verschüsseln, erläutern und dokumentieren, was das Zeug hält. Bei vollständiger elektronischer Datenerfassung aller Abläufe haben GKV- und PKV-Krankenkassen, aber auch Anwälte und Aufsichtsbehörden per Knopfdruck und ohne eigene Verwaltungskosten umfassende Einblicke in Prozess-, Ablauf- und Ergebnisqualität, Qualitätssicherungsmaßnahmen, DRG-„upgrading“ und -„downgrading“, Fehlermanagement, Beschwerde- und Meldewesen. So können Institutionen, die bezeichnenderweise mangels Heilberufeerlaubnis selbst niemals kranke Patienten behandeln, wenigsten „meckern“ und nach Schadenersatz rufen, wenn etwas nicht optimal oder schief gelaufen ist. Selbst müssen sie keine Zertifizierungen und Audits durchführen.
Auch das international operierende Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-Unternehmen DELOITTE will dabei mitreden, mitmischen und Geld verdienen. Sein letztjähriges Zukunfts-Gutachten mit Blick in die Glaskugel bis zum Jahr 2020 mit dem bezeichnenden Titel: „Healthcare and Life Sciences. Predictions 2020. A bold Future?” ist allerdings auf Deutschland nicht mal im Ansatz anwendbar bzw. zeichnet sich wie so häufig bei internationalen Wirtschaftsberatern (z. B. PROGNOS-AG/CH) durch erhebliche Medizin-Bildungsferne aus. Zur Schweizer PROGNOS-AG, vom Autor 2014 und 2012 publiziert:
Die Autoren von „Healthcare and Life Sciences Predictions 2020 - A bold future?“ Karen Taylor, Director UK Center for Health Solutions, und Hanno Ronte, Partner Monitor Deloitte, weisen in ihrem professionellen Portfolio nicht die geringsten medizinischen Grundkenntnisse, Ausbildungen und Qualifikationen nach. Sie sind nur und ausschließlich wirtschaftsberaterisch im Gesundheitswesen tätig.
Ihre DELOITTE-Studie bezieht sich ausschließlich auf Großbritannien (GB) mit einem zentralistisch organisierten, staatlichen und rein steuerfinanzierten Zuteilungs- und Regulationssystem NHS und auf die USA mit ihrem völlig konträr rein privatwirtschaftlich orientierten Gesundheitssystem, wenn man von MEDICARE, MEDICAID und dem gerade neu eingeführten „Obama-CARE“ absieht.
Dabei ist die professionelle Welt und die medizinische Kernkompetenz von uns Ärztinnen und Ärzten grundsätzlich analog, nicht digital! Die Medizin, die Welt der Krankheiten, der Anamnese, der körperlichen und apparativen Untersuchungen, der Beratung, Differenzialdiagnostik und multidimensionalen Therapien bedeuten analoges Vorgehen. Selbst digitale Palpationstechniken und Untersuchungen bleiben rein analog.
Unsere Kernkompetenz sind Zehntausende von Krankheitsentitäten, die ambulanten/stationären Pharmako- und Physiotherapien, Heilbehandlungen, Operationen, Injektionen/Infusionen, Kuren, Minimalinterventionen oder Hybrid-OPs: Bei Herz- und Hirn-Infarkten, ACS, Herzfehlern, Aneurysma, Asthma/COPD, Miss- und Fehlbildungen, Lungenembolien, akutem Abdomen, eingeklemmten Hernien, KHK, systolischer/diastolischer/pulmonaler Hypertonie, Hyperlipidämien, PAVK, Mesenterialinfarkten, Carotisstenosen, Tumorkrankheiten, Kachexie und Marasmus, zerebralen Krampfanfällen, Gallenstein- und Nierensteinkoliken, entgleisten Typ-1 und 2-Diabetes Krankheiten mit Komplikationen, Addison-Krisen, Thyreotoxikosen, Rheuma, Kollagenosen, endokrinen Störungen, Nierenversagen, Neuropathien, Systemerkrankungen, dekompensierter Herzinsuffizienz, Infektionen mit Viren/Bakterien/Pilzen/Parasiten, chronischen Schmerzen usw. usf.
Medizinische „Gesundheits“-Apps, E-Health und Telemedizin bzw. die gesamte Digitalisierung des Gesundheitswesens sind nur Hilfsmittel und notwendiges Accessoire. Untersuchungs-, Ablauf-, Prozess- und Ergebnisqualitäten in der Humanmedizin werden eher durch analoge Kommunikations-, Interaktions-, Kontemplations-, Empathie- und Reflexionsfähigkeit bzw. selbstkritische Wahrnehmungsfähigkeit bei Ärzten und Patienten definiert.
Im Übrigen: Digitalisierung der gesamten Medizin, Apps, Telemedizin-Anwendungen, E-Health-Gesetze ebenso wie Diagnostik-Tools im Internet als „Symptom-Checker“ berücksichtigen nicht unsere bewegungseingeschränkten, teilhabegeminderten, bio-psycho-sozial benachteiligten, EDV-fernen, älteren, multimorbiden Patientinnen und Patienten. Ärztliche, psychotherapeutische, pflegerische und physiotherapeutische Professionen bzw. deren Empathie- und therapeutisch- interventionellen Fähigkeiten sind grundsätzlich analoger Natur.
Bildquelle (Außenseite): David, flickr