Ärzte verordnen Antibiotika viel zu häufig, ohne einen bakteriellen Infekt nachzuweisen. Dabei mangelt es nicht an Testverfahren. Krankenkassen wollen nicht mehr länger zusehen. Sie starten jetzt ein Modellprojekt zum rationalen Einsatz dieser Wirkstoffe.
Im August veröffentlichten die BKK-Landesverbände Nordwest und Mitte eine Übersicht zur Verordnung von Antibiotika. Basis waren Abrechnungsdaten von Anfang 2014 bis Mitte 2015. Im untersuchten Zeitraum verordneten Ärzte in 13 erfassten Bundesländern 1,7 Millionen Mal ein Antibiotikum. Dabei gab es medizinisch nicht erklärbare Unterschiede. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland erhielten Versicherte doppelt so häufig Präparate dieser Gruppe wie in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern.
Nur in wenigen Fällen ließ sich die Pharmakotherapie rational nachvollziehen. Ärzte verschrieben 95 Prozent aller Antibiotika ohne diagnostische Absicherung. Klassisches Beispiel ist der Erkältungsschnupfen in der Pädiatrie. Teilweise setzten Mediziner Reservesubstanzen ein, ohne dass dies erforderlich gewesen wäre. „Es werden zu viel Antibiotika verordnet, weil sie ungezielt oder für Erkrankungen, wo sie nicht wirken, eingesetzt werden“, kritisiert Dr. Dirk Janssen, stellvertretender Vorstand des BKK-Landesverbandes Nordwest. Er fordert:
Doch die offiziellen Mühlen mahlen bekanntlich langsam. Deshalb wollen der BKK-Landesverband Nordwest und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein zum 1. Januar 2017 selbst einen Vertrag abschließen. Gemeinsam verbessern sie die Erstattung diagnostischer Verfahren und honorieren den höheren Beratungsaufwand des Arztes. Vorgesehen ist, Antigen-Schnelltests bei Rachenentzündungen sowie Antibiogramme bei Harnwegs- und Wundinfektionen einzusetzen. Die neuen Regelungen gelten für die Regionen Essen und Duisburg und sind auf zwei Jahre befristet.
Zum Hintergrund: Die von Regierungsvertretern im Entwurf Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetz (AVSG) geplanten Maßnahmen reichen Dirk Janssen nicht aus. „Dies ist eine Scheinlösung. Bis neue Verfahren in der Praxis ankommen, werden Jahre vergehen“, sagt der Kassenvertreter. Es mangele nicht an Testverfahren selbst, sondern an deren Einsatz.