Auf den Philippinen versorgen Krankenschwestern via Telefon amerikanische Patienten. Denn Anbieter von Telepflege lagern die Jobs in Niedriglohnländer aus. Werden auch in Deutschland bald Telemedizin und Telecare ins günstige Ausland verlegt, um Kosten zu sparen?
Den Arzt vom Sofa aus konsultieren: Während in Deutschland über Telemedizin noch diskutiert wird, ist es in anderen Ländern bereits etabliert. Beispielsweise wurden schon 2014 in Kanada in allen Bundesstaaten telemedizinische Dienste verschiedener Fachrichtungen angeboten. Ähnlich sieht es beim Nachbarn aus: In den USA bietet der Gesundheitsversorger Kaiser Permanente seinen Versicherten die Videosprechstunde als Standardalternative zur persönlichen Sprechstunde an, und in manchen Fachgebieten wird der Versicherte aktiv dazu aufgefordert, seinen nächsten Besuch in der Praxis durch eine telemedizinische Konsultation zu ersetzen. Der Markt ist in Deutschland und international im Umbruch: DrEd wirbt seit Jahren von Großbritannien aus um deutsche Patienten und versteht es immer wieder, sich mit seiner Fernsprechstunde in die Schlagzeilen zu bringen. Am anderen Ende der Welt, auf den Philippinen, übernachten einheimische Krankenschwestern währenddessen in Call-Centern, um US-amerikanischen Patienten zu jeder Tageszeit zur Verfügung zu stehen.
Beginnen wir aber bei uns: In Deutschland wird im Zusammenhang mit der Telemedizin oft das sogenannte Fernbehandlungsverbot zitiert. Genau genommen verbietet die entsprechende Vorschrift der Berufsordnung (§ 7 Abs. 4 MBO) jedoch nur, dass der Erstkontakt zwischen Arzt und Patient telefonisch oder elektronisch stattfindet. Der Merkspruch „Am Telefon und durch die Hose stelle keine Diagnose“ müsste also zumindest berufsrechtlich heißen: „Am Telefon und durch die Hose erhebe keinen Erstbefund“. Ausnahme innerhalb Deutschlands ist seit kurzem Baden-Württemberg: Dort ist jetzt auch die reine Fernbehandlung erlaubt – in Modellprojekten, die individuell von der Ärztekammer genehmigt werden müssen.
Patienten, die partout fernbehandelt werden wollen, wissen sich aber auch so zu helfen: Anbieter aus dem Ausland wie DrEd bieten auch deutschen Patienten ihre Dienste an. Die Videosprechstunde wurde dort jedoch mangels Nachfrage vorerst abgeschafft, und die Online-Konsultation per Webformular ist auf wenige häufige und klar definierte Krankheitsbilder wie beispielsweise Asthma bronchiale und Bluthochdruck, Geschlechtskrankheiten und Haarausfall begrenzt. Ziel ist lediglich, eine Diagnose zu stellen und dem Patienten schnell und einfach ein Rezept zukommen zu lassen. Zu Recht prangern deutsche Kollegen an, dass ihnen durch solche Angebote die wirtschaftliche Grundlage entzogen werde: Die Mischkalkulation aus leichten und schweren, zeitaufwändigen Fällen in der Arztpraxis werde hinfällig, wenn sich die jungen, gesunden Patienten nur noch an Telemedizin-Anbieter wenden. So weit ist es allerdings noch lange nicht – die DrEd-Behandlung wird von den Kassen nicht erstattet, und die Politik will dem Geschäftsmodell von DrEd durch ein Fernverschreibungsverbot den Garaus machen.
Ein Sonderfall der Telemedizin: Ist eine Krankenschwester oder ein Pfleger am anderen Ende der Leitung, spricht man von Telecare oder – wenn die Schwester als Türsteherin fungiert und anhand der Anamnese oder Symptome über das weitere Vorgehen entscheidet – von Teletriage. Dieses Modell ist international sehr erfolgreich, vor allem in Großbritannien: Der britische Markt für Telecare macht nach einer Analyse von Deloitte 25 % des Weltmarktes aus. Deloitte zufolge sind die Preise für Telecare in Deutschland vergleichsweise hoch, weil die Lösungen fast ausschließlich privat bezahlt werden, also keine Kassenleistungen sind und es wenige Anbieter gibt. In den USA seien die Preise dagegen weiter im Sinkflug begriffen: Die Hardware werde immer billiger und auch die Personalkosten würden durch Outsourcing gesenkt.
Das bestätigt auch die ZEIT in einem kürzlich erschienenen Artikel: Immer mehr US-amerikanische Gesundheitsversorger lagerten ihre medizinischen Call-Center auf die Philippinen aus. Der Vorteil gegenüber anderen Niedriglohnländern: Auf den Philippinen werde für US-amerikanische Ohren fast akzentfreies Englisch gesprochen, im Gegensatz zu der charakteristischen Färbung von beispielsweise indischem Englisch. Außerdem gebe es auf den Philippinen traditionell eine große Anzahl an gut ausgebildeten Gesundheitsfachleuten, insbesondere Krankenschwestern, die in der Vergangenheit oft Anstellung im Ausland gesucht hätten. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2016 seien 2.000 von ihnen stattdessen vor Ort in medizinischen Call-Centern amerikanischer Anbieter angestellt worden. Die Arbeitsbedingungen sind für die Schwestern und Pfleger in den Call-Centern oft belastend: Es ist ein hohes Pensum zu bewältigen, und die durch die Zeitverschiebung bedingten häufigen Nachtschichten, gemeinsam mit dem Verkehrschaos der philippinischen Metropolen, führen dazu, dass viele Angestellte direkt im Call-Center übernachten. Allerdings: Wer längere Zeit im stationären Sektor gearbeitet hat, ob als Pflegeperson oder Arzt, ob im Inland oder Ausland, erkennt seine eigenen Arbeitsumstände hier möglicherweise wieder. Ob die philippinischen Schwestern als Gastarbeiterinnen in einem US-amerikanischen oder deutschen Krankenhaus so viel besser bedient wären?
Das alles wirft die Frage auf: Wird auch bei uns auf lange Sicht die Telemedizin und Telecare ins Ausland ausgelagert, um Kosten zu sparen? DrEd aus Großbritannien zeigt sich optimistisch und verkündete am 29.11. seine aktuellen Zahlen: In Deutschland habe DrEd 2016 über 100.000 Fälle behandelt und sich damit gegenüber dem Vorjahr schon um 50 % gesteigert. Die Patienten hätten zu 92 % „gute“ oder „sehr gute“ Erfahrungen gemacht, und 70 % sahen keinen fachlichen Unterschied in der Versorgung durch DrEd im Vergleich mit einem traditionellen Facharzt. Umgekehrt heißt das aber auch: 30 % der Nutzer von DrEd sehen sich in einer traditionellen Sprechstunde immer noch besser behandelt. In der deutschen Ärzteschaft hat DrEd zudem viel Gegenwind und eine Kooperation mit deutschen Kassen ist bisher auch nicht gelungen. Schwer vorstellbar also, dass die Telesprechstunde mit dem Hausarzt in Zukunft auf der anderen Seite des Ärmelkanals stattfindet. Und wie steht es um Telecare und Teletriage? Ein Outsourcing auf die Philippinen steht wohl nicht zur Diskussion – akzentfreies Englisch nützt der Teleschwester wenig, wenn der Bochumer Opa Rat wegen seines Diabetes sucht. Allerdings gibt es in Osteuropa zahlreiche medizinische Fachkräfte mit guten Deutschkenntnissen, Ärzte wie auch Pflegepersonal, die in der Vergangenheit ausgewandert sind und ihr Glück in deutschen Kliniken gesucht haben. Viele davon wären sicher bereit, ihre Arbeit mit deutschen Patienten stattdessen am Bildschirm zu verrichten – und abends nach Hause zu ihren Familien zu gehen. Auch Krankenkassen würden sich sicher nicht allzu lange gegen solche Modelle sträuben, so lange sie Kostenersparnis versprechen. Und wie würden Ärzte und Patienten dazu stehen? Selbst von den mutigen Telemedizin-Vorreitern unter den Patienten fühlen sich 30 % immer noch beim Niedergelassenen am besten aufgehoben. Diese Zahl dürfte unter den Durchschnittspatienten noch viel höher sein. Die ausgelagerte Telemedizin hätte sicher die beste Chance, zum Patientenliebling zu werden, wenn sie von den vertrauten Niedergelassenen empfohlen wird – und das ist unwahrscheinlich, wenn sie als reines Kostensparmodell und Konkurrenz zum Hausarzt vor Ort aufgebaut wird. Gefragt sind also Lösungen, die auf Kooperation statt auf Konkurrenz zu den heimischen Niedergelassenen setzen.