Gleich vorneweg: Bisher gibt es weder einen Beweis noch einen Test, der einen zervikogenen Schwindel bestätigen kann oder nahelegt. Oft stecken andere Diagnosen dahinter.
Pathophysiologie
Es ist bekannt, dass Propriozeptoren in der Hals- und Nackenmuskulatur vorhanden sind, die an der Haltungsregulation, Raumorientierung sowie Kopf-Rumpf-Koordination beteiligt sind. So führt der zerviko-okuläre Reflex bei Relativbewegungen von Kopf und Rumpf zu kompensatorischen Augenbewegungen. Leider auch bei gesunden Kontrollpersonen. Dies als einen diagnostischen Test abzuleiten, ist somit nicht möglich. Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass eine Durchtrennung der Halsafferenzen zu einer Fallneigung führt. Ein Nystagmus konnte jedoch nur bei bestimmten Tieren nachgewiesen werden. Bei dem uns am nahesten stehenden Rhesusaffen z. B. nicht. Man geht außerdem davon aus, dass der Einfluss des vestibulo-okulären Reflex, also des Innenohrs, dem Einfluss der Halsafferenzen überwiegt. Zu Bedenken bleibt auch, dass die Physiologie bei Tier und Mensch unterschiedlich ist.
Echter „zervikogener Schwindel“
Von dem oben erwähnten Schwindel müssen natürlich ernsthafte und echte Ursachen abgegrenzt werden. Eine Dissektion der A. vertebralis oder ein rotational vertebral artery occlusion syndrome mit Schwindel bei Kopfdrehung. Ein seltenes Syndrom, hierbei treten Drehschwindel, Hörstörung und weitere Hirnstammsymptome auf.
Weitere Differentialdiagnosen
An erster Stelle ist natürlich der gutartige Lagerungsschwindel. Dann eine Perilymphfistel und der phobische Schwankschwindel. Ischämische Ursachen sollten natürlich ebenfalls in Erwägung gezogen werden.
Fazit
Bevor man sich also zu der Verlegenheitsdiagnose "zervikogener Schwindel" entschliesst, sollte man vorher gründlich Ausschlussdiagnostik betreiben. Bei jedem Patienten mit Schwindel sollte eine gründliche neurologische Untersuchung mit Lage- und Lagerungsmanöver und Untersuchung der Okulomotorik durchgeführt werden. Anzumerken bleibt noch: Schwindel, Kopf- und Nackenschmerzen sind häufig. Jeder Patient sucht natürlich eine Krankheitstheorie. Was ist dann naheliegender, als seine Nackenschmerzen mit Schwindel in Verbindung zu bringen, auch wenn die Nackenschmerzen sekundär aus einer Schonhaltung aufgrund einer anderen peripher vestibulären Störung entstanden sind?