In sozialen Medien begegnet die Pharmaindustrie ihren wichtigsten Kunden, den Patienten, am liebsten im weggeduckten Zustand. Der Grund: Angst vor Nebenwirkungsmeldungen. Dieses Vermeidungsverhalten könnte sich bald rächen - denn plötzlich gibt es einen Überraschungsgast im Social Web: Die FDA.
Hinter den Kulissen muss es bereits lange gegoren haben, denn die US-Arzneimittelaufsicht gehört ja bekanntlich nicht zu den schnellsten Behörden. Vor wenigen Tagen gab die FDA dann überraschend bekannt, dass man mit der Patientencommunity PatientsLikeMe kooperieren werde.
PatientsLikeMe ist eine US-amerikanische Online-Plattform, auf der sich Patienten über ihre Erkrankungen austauschen können. Nach eigenen Angaben besteht die Community aus 350.000 Mitgliedern, die sich über mehr als 2.500 Krankheitsbildern informieren können. Auf PatientsLikeMe wird aber nicht nur diskutiert, sondern es werden auch wichtige Daten erhoben. So gibt es zum Beispiel Symptomfragebögen, mit denen die Teilnehmer ihre Krankheitsverläufe dokumentieren. Rund 30 Millionen Datenpunkte sollen so zusammen gekommen sein - darunter auch zahlreiche Nebenwirkungsmeldungen.
Und da wird es für die FDA interessant. "Die meisten klinischen Studien repräsentieren nur einige hundert oder bestenfalls tausend Patienten, was es unmöglich macht alle Nebenwirkungen im Alltag vorherzusagen", so PLM-Mitgründer Ben Heywood, "Von Patienten erhobene Daten geben ein vollständigeres Bild der Arzneimittelsicherheit. Wir haben die FDA daher ermutigt, unsere Daten zu bewerten, um Nutzen und Risiken einer Therapie früher beurteilen zu können."
Konkret bietet PatientsLikeMe der FDA Zugang zu 110.000 Nebenwirkungsmeldungen, die mehr als 1.000 Arzneimitteln betreffen. Gerald Dal Pan, ein hochrangiger Vertreter der FDA, meint dazu salomonisch: "Wir gehen in die sozialen Medien, um zu sehen, was wir lernen können. Wir wissen noch nicht, was wir dort finden."
Dass man dort etwas finden wird, scheint der FDA aber klar zu sein - sonst würde man nicht den für eine Behörde ungewöhnlichen Schritt unternehmen, mit einem privaten Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Kann es das bald auch in Deutschland geben? Maik Pommer, Presseprecher des BfArM, sagte im Gespräch mit DocCheck, dass die Behörde zur Zeit noch keine konkreten Pläne habe, der FDA nachzueifern. Allerdings sei man stark daran interessiert, die niedrige Quote der Verdachtsmeldungen von Medikamentennebenwirkungen zu erhöhen. Wenn es in Deutschland etwas Vergleichbares wie PatientsLikeMe gäbe, so Pommer, "würde sich das BfArM das dann anschauen".
Fazit: Die Pharmaindustrie in Deutschland sollte ihre Vogel-Strauß-Haltung gegenüber Patientennetzwerken schnell aufgeben und sich überlegen, wie man sich dort engagiert. Sonst könnte es sein, dass man auf einmal ohne Schwanzfedern dasteht. Die hat dann die Arzneimittelaufsicht in der Hand.