Ein weißer Patient mit schwerer Verletzung wagt sich in unser kleines Buschkrankenhaus. Dort wird ihm durchaus ein gewisser Service zuteil....
Ein älterer Herr aus Europa, der in der näheren Umgebung für eine Hilfsorganisation arbeitet, hatte einen Unfall und stellt sich nun mit starken Schmerzen und einem verdrehten Fuß vor. Wie sich nicht nur im Röntgenbild zeigt, hat er eine offene Sprunggelenk-Luxationsfraktur, bei der der Knochen durch die zerrissene Haut spießt. Nach längeren Diskussionen mit den einheimischen Kollegen hat er zum Glück nach mehr schlechter als rechter Reposition nicht einen Rundumgips sondern eine Gipsschiene erhalten und das Bein ist hoch gelagert. Drei rührige und besorgte Freundinnen kümmern sich um ihn, in seinem „Privatzimmer“ für umgerechnet drei Euro pro Tag.
Das Vorhandensein eines weißen, europäischen Patienten führt zu allerlei ungewohnten Situationen. So muss um 19 Uhr eine Fotokopie der Krankenunterlagen für die Versicherung gemacht werden. Um diese Zeit ist jedoch das Büro mit dem einzigen Kopierer des Krankenhauses schon geschlossen. Der Stationspfleger äußert, das System in Europa sei aber kompliziert; hier gehe man halt ins Krankenhaus und lasse sich behandeln. Dort brauche es scheinbar noch reichlich Papier zur Genesung. Schließlich stelle ich ihm handschriftlich eine Bescheinigung aus. Einen offiziellen Computer zum Schreiben oder Ausdrucken gibt es um diese Zeit auch nicht. Dennoch möchten die Freundinnen das Papier sofort in den Händen halten.
Die Damen und der Patient fragen mich, wo er sich am besten behandeln lassen solle. Ich bin die Dritte, die gefragt wird, so haben sie ein gewisses Auswahlspektrum. Eigentlich möchte ich ihm raten, für die Behandlung dieser komplizierten, das Gelenk betreffenden Fraktur nach Hause zu fliegen. Noch nicht mal einen Fixateur externe können wir ihm hier anbieten. Andererseits möchte der chirurgische Kollege ihn gerne behandeln. Für morgen ist die Wundreinigung und Anlage einer Extension geplant. Die Wundreinigung ist wichtig. Die Extension, finde ich, verzögert die Abreise zu einer besseren Behandlung.
Am Morgen startet das erwartete Muzungu-Theater im OP. Ich staune, dass wirklich alle mitspielen. Es wird ein Pulsoximeter eingesetzt, obwohl nur eine Spinalanästhesie geplant ist, worauf man sonst sogar bei Analgosedierung mit Ketanest zumeist verzichtet. Morphin erhält der Patient, damit wirklich nichts wehtut (daran spart man bei den eigenen Landsleuten deutlich). Der Patient erhält ein schmuckes neues Einwegmäntelchen statt des sonst üblichen, auch mal durchlöcherten OP-Hemds in weiß. Dann sind für den Operateur ein steriler Kittel und drei sterile Tücher gerichtet, obwohl sonst für Wundversorgungen lediglich eine Schürze getragen und mit einem einzigen Lochtuch abgedeckt wird. Alle drei Minuten wird gefragt, ob wirklich nichts wehtut. Und siehe da: der Patient ist auch wirklich sehr zufrieden. Glücklicherweise, wie ich finde, entscheidet er sich dann doch, seine Rücktransportversicherung in Anspruch zu nehmen.
Warum, könnte man fragen, behandeln Afrikaner einen weißen Patienten so viel umsichtiger (mal abgesehen von der Fraktur) als ihre eigenen Landsleute? Warum stößt man bei Einheimischen auf Unverständnis, wenn man als weiße Frau eine gleich gute Behandlung (wohlgemerkt: die weder die vorhandenen Mittel noch die Möglichkeiten überstrapaziert) für afrikanische Patienten vorschlägt? Für die hageren Krieger aus dem Busch und ihre Frauen und Kinder?