Man kennt das ja auch von zuhause in Deutschland - 16 Uhr Dienstschluss (offiziell) muss nicht wirklich Dienstschluss sein. Zumal, wenn ein Patient vom Blitz getroffen wurde, weinende Kinder vor der Tür stehen, auf Station ein Patient randaliert und der Diensthabende gerade im OP zugange ist...
Nach Dienstschluss
Gerade haben wir, kurz nach Dienstschluss, einen Bauch nach versorgter Magenperforation wieder zugenäht. Die Pfleger sind noch beim Richten der heute aufgelaufenen Knochenbrüche. Mal sehen, ob ich den Schlüssel für den Ultraschallraum finden kann, dann ließe sich der Patient schallen, den ich heute morgen mit Tumor im Bauch aufgenommen habe. Nachdem sich ja der Ultraschaller aus dem Staub gemacht hat, um eine besser bezahlte Stelle an einem anderen Hospital anzunehmen, ist das Sonographie-Department nach wie vor verwaist.
Die Senior-Headnurse, bei der eigentlich der Schlüssel lagern sollte, ist leider nicht mehr vor Ort. Also nehme ich den Patienten mit in die Schwangerenabteilung, hier gibt es ein kleines Ultraschallgerät mit winzigem Monitor. Der Patient platziert sich gerade auf der Liege, da stellen wir fest, dass es keine Steckdose außer derjenigen für den Stationskühlschrank gibt. Wo ist der Doppelstecker geblieben? Die Schülerin schlägt vor, in den Untersuchungsraum für die Schwangeren zu gehen. Der Patient schaut mich fragend an – ob des gynäkologischen Untersuchungsstuhls.
Gerade hat sich der Patient an den Beinschalen vorbei zur Untersuchung platziert, als die gynäkologische Kollegin hereinkommt – sie hat eine Patientin im Schlepptau und will nachsehen, ob ein fetaler Herzschlag zu finden ist, dann könne sie noch einen Kaiserschnitt machen. Und sie hat den Schlüssel für den Ultraschallraum dabei. Wunderbar.
Also gehen wir im strömenden Regen zum Ultraschallraum. Hier sind drei Türen zu öffnen und ein funktionierendes Gerät auszumachen. Schließlich liegt der Patient in Position, der Bauch ist mit Gelee bestrichen. Endlich ist auch das neue Gerät hochgefahren und ein prachtvolles Bild vorhanden, da fällt der Strom aus. Aber wir haben gesehen, dass der Tumor solide ist, der zur Zweitmeinung geholte internistische Kollege, ebenfalls noch umtriebig auf seiner 80-Betten-Station, vermutet TB, das reicht erstmal. Er möchte den Patienten übernehmen.
Ich will nur kurz den Schlüssel zurückbringen, aber die Schwester auf Station sagt, gut, dass sie kommen, Doktor. Ein Patient mir Kopfverletzung randaliert, zudem läuft Flüssigkeit aus seinem linken Ohr, also hat er vermutlich eine Schädel-Fraktur, wir aber haben kein CT, um das Ausmaß der Verletzung erkennen zu können. Einen venösen Zugang zu legen, ist unter diesen Umständen ein Kunststück, gelingt aber dann doch. Die am Bett versammelten Verwandten und Freunde schaffen es schließlich, den Mann ein wenig zu beruhigen. Dazu hat er noch Fieber, also muss zusätzlich auf Malaria und HIV getestet werden, was eine Weile dauern wird, denn die Laborbereitschaft muss sich erst in Bewegung setzen. Als Differentialdiagnosen kommen ja auch eine zerebrale Malaria und eine HIV-Enzephalitis infrage. Ich bitte die Schwester, den Diensthabenden zu konsultieren, wenn das Ergebnis vorliegt und will gerade gehen, als ein Mann hereingetragen wird, der berichtet, vom Blitz getroffen worden zu sein. Als dieser versorgt ist, kommt eine Mutter mit schreiendem Zweijährigem. In der ersten Untersuchung sieht es nach einer Unterschenkelfraktur aus, aber Röntgenbilder gibt es erst wieder am Morgen.
Nachdem das Bein geschient, etwas gegen die Schmerzen gegeben ist und der Kleine nicht mehr schreit, kommt der nächste Patient an Mamas Hand zur Tür herein: ein Vierjähriger, der sich etwas ins Ohr gesteckt habe. Der innere Schweinehund, nach einem langen Arbeitstag überaus präsent und im Wissen, dass die Suche nach dem nötigen Häkchen lange dauern kann, drängelt sich in den Vordergrund. Ich überlege, ob das verlegte Ohr vielleicht auch noch am Morgen befreit werden kann, zumal die Mutter in der nächsten Nachbarschaft wohnt, das Kind eigentlich guter Dinge ist, keine Schmerzen hat und das Ohr zumindest von außen sauber und trocken aussieht.
Ein strenger Blick in Richtung Hund, der einen Schritt zurückweicht, das Otoskop ist zumindest ohne größeren Aufwand schnell zu haben. Ein kurzer Blick ins Ohr: man hat einen freien Blick auf ein reizloses Trommelfell. Die Mutter allerdings ist überzeugt, dass dort etwas sein muss. Die Schwester springt ein. Es braucht noch ein bisschen Überzeugungsarbeit. Der Hund, schwanzwedelnd, und ich ziehen uns jetzt aber doch zurück und hoffen, auf dem Weg aus dem Hospitalgelände keine bedürftigen Patienten mehr zu treffen.
Auf dem Heimweg sehe ich gerade noch, wie eine Ratte durch die OP-Eingangstür schlüpft und sich hinter dem Waschbecken versteckt. Wer kann, begibt sich zur Ruhe.