Seit mittlerweile fast zwei Jahren mache ich nun schon die KV-Bereitschaftsdienste, vor allem am Wochenende. Was mir in der letzten Zeit verstärkt auffällt: Die Hemmschwelle, wegen Kleinigkeiten einen Arzt anzurufen, sinkt. Vor allem nachts.
Ich bin es ja gewöhnt, dass Patienten die Nummer des Kassenärztlichen Notdienstes gerne auch als Auskunft benutzen. Wo finde ich die nächste Notdienstapotheke, wo finde ich den diensthabenden Zahnarzt, wo gibt es den nächsten Augenarzt, ich brauch ganz dringend einen HNO-Arzt, solche Dinge halt.
Eigentlich sollte sich jeder solche Fragen in Zeiten des mobilen Internets selbst beantworten können, aber nun gut. Ich habe mich daran gewöhnt und halte die meisten Informationen für die Patienten bereit. Gerne wird auch einmal gefragt, wie lange Frau die nachts vergessene Pille noch nachnehmen kann, ohne den Schutz zu verlieren. Oder ich werde telefonisch zu einer Zweitmeinung zu im Krankenhaus liegenden Angehörigen gefragt. Dafür ist der Bereitschaftsdienst zwar nicht gedacht, aber das macht man halt einfach mit.
Ungemütlich werde ich, wenn man mich nachts um 4:15 Uhr wachklingelt, um zu fragen, ob die Halsschmerzen, die man seit 3 Tagen hat, vielleicht doch eine Angina sein könnten? Ja können sie, aber das ist nichts, was man um 4:15 Uhr behandeln müsste. 9 Uhr reicht auch noch völlig. Auch schön sind die seit 3 Wochen bestehende Rückenschmerzen, die um 2:45 Uhr jetzt doch gerne einmal vorgestellt werden möchten. Oder Schnupfen. Ganz doller Schnupfen. Also die ganze Nase ist verstopft, so doll ist der. Und Gliederschmerzen.
Oder man war um 1:30 Uhr im Krankenhaus, wurde dort behandelt und mit Medikamenten (Antibiotika) versorgt, jetzt um 5:00 Uhr hat man doch noch eine Frage zu der Behandlung, denn Antibiotika, hat man im Internet gelesen, sind ganz doll böse und vielleicht geht es doch ohne? Ob noch mal jemand gucken kommen kann? Ja klar. Aber nicht um 5:00 Uhr morgens!
Ich stelle in solchen Fällen immer gerne die Frage, ob man denn jetzt in der Nacht auch zur Apotheke fahren würde, die wichtigen Medikamente holen, denn ich habe sie natürlich nicht dabei. Da winken die meisten Anrufer dann ab, ach das würden sie dann am nächsten Morgen bzw. am nächsten regulären Arbeitstag (!) machen. Da weiß ich dann immer Bescheid. Und kann sie beruhigt auf den nächsten Morgen/Tag vertrösten, dass sie sich dann bitte noch einmal melden sollen.
Äußerst mitdenkend ist auch die (mir bekannte) Schwester aus dem Pflegeheim, die um 2:15 Uhr mitteilt, dass die eine Patientin gerade eingeschlafen sei. In meiner Schlaftrunkenheit fragte ich nur: „Für immer?“ „Ja, für immer“, ob ich denn morgen früh im Laufe des Tages für die Leichenschau vorbeikommen könnte? Ja natürlich, aber muss man mir das um 2:15 Uhr mitteilen?
Es gibt viele Patienten, die völlig zu Recht nachts anrufen, weil sie wirklich schwer krank sind und Hilfe benötigen. Das oft der Rettungsdienst gleich der bessere Ansprechpartner gewesen wäre, sehe ich immer gerne nach, manchmal kann man Situationen nicht so richtig einschätzen.
Ich erwarte aber eigentlich von erwachsenen Menschen mit etwas Menschenverstand, das Halsschmerzen, Schnupfen, Rückenschmerzen nun nichts sind, weswegen man nachts irgendjemand aus dem Bett holen sollte. Nicht in der Rettungsstelle im Krankenhaus und auch nicht den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Kein Wunder, dass immer weniger meiner niedergelassenen Kollegen diese Bereitschaftsdienste machen wollen.