Das neue Jahr beginnt, die Erkältungswelle rollt wieder an. Neue Leitlinien haben dazu geführt, dass so viele unterschiedliche Kombimittel auf den Markt drängen wie noch nie. Die evidenzbasierte Datenlage zum Nutzen von Erkältungsmitteln ist allerdings dürftig.
Zwei- bis fünfmal im Jahr ist für Erwachsene Taschentuchalarm und die Erkältung schlägt zu. Obwohl es sich um eine Bagatellerkrankung handelt, verursachen Rhinoviren einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden. Kombinationsarzneimittel versprechen Linderung, sind aber oft unsinnig zusammengesetzt. Neben Analgetika und Antipyretika wie Paracetamol, Ibuprofen und Acetylsalicylsäure enthalten die Zubereitungen Vitamin C, Antihistaminika, Hustenblocker und abschwellende Alphasympathomimetika.
Eine Studie von Croessmann et al. untersuchte in einer Metaanalyse den Nutzen von Erkältungsmitteln. Für Antihistaminika, intranasale Steroide, Codein, nasale Salzwasserspülungen und Dampfbäder ist die evidenzbasierte Datenlage sehr dürftig. Lokale Alphasympathomimetika, intranasales Ipratropium und Zink mindern leicht die Symptomschwere und -dauer. Analgetika und einige Phytotherapeutika milderten geringfügig die Symptome. Lediglich eine konsequente Hygiene vermindert die Übertragung der ursächlichen Viren. Für Kombinationspräparate mit Dekongestiva und/oder Analgetika lässt sich dagegen „ein gewisser Nutzen bei Erwachsenen und älteren Kindern“ belegen, so die Studienautoren aus Frankfurt. Das Rhinosinusitis-Positionspapier spricht eine Empfehlung für Analgetika und Dekongestiva aus. Dekongestiva sind lokale oder systemische Alphasympathomimetika mit abschwellender Wirkung.
Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Paracetamol wirken gegen die Kopf- und Gliederschmerzen und senken das Fieber. Als orale Dekongestiva stehen Phenylephrin, Phenylpropanolamin, Ephedrin und Pseudoephedrin zur Verfügung. Die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten ist extrem groß. Orale Dekongestiva wirken als Alphasympathomimetika abschwellend auf die Schleimhäute im Bereich der Ostien, ohne diese auszutrocknen. Dies ist ein beachtlicher Vorteil gegenüber lokalen Dekongestiva wie Xylometazolin, Naphazolin u.a.. Auch ein Reboundeffekt und eine Rhinitis medicamentosa werden durch die oralen Arzneiformen nicht hervorgerufen. Auf der anderen Seite ist die Liste der Nebenwirkungen und Kontraindikationen lang. Patienten mit Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Hyperthyreose und Diabetes dürfen die Vasokonstriktoren nicht einnehmen. Schließlich verengen sie ja auch periphere Gefäße und steigern so den Blutdruck. Enthält das Kombipräparat Acetylsalicylsäure kommen als Anwendungseinschränkungen auch noch Asthma, Gicht und Gerinnungsstörungen dazu. All dies gilt es im Beratungsgespräch in der Apotheke oder der Arztpraxis abzuklären.
Die Rhinosinusitis-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde aus dem Jahr 2011 spricht sich hingegen nicht für die systemische Gabe von Dekongestiva aus. Sie sieht klare Vorteile in der topischen Applikation. Die S2K-Leitlinie ist seit März 2015 abgelaufen und sollte im Februar 2016 neu aufgelegt werden, was nicht geschah. Es bleibt abzuwarten, ob die Autoren sich den europäischen Empfehlungen anschließen und ebenfalls zu oralen Dekongestiva tendieren.
Welches Analgetikum der beste Kombinationspartner für das Dekongestivum ist, ist unklar und es herrscht keine Evidenz. Das indische Gesundheitsministerium gab im März 2016 eine Liste mit 344 Kombinationsarzneien heraus, bei denen die Risiken den Nutzwert übersteigen. Unter den Fixkombinationen ist auch Paracetamol mit Epinephrin und Coffein aufgeführt. Aus pharmazeutischer Sicht sind nicht alle Kombimittel sinnvoll kombiniert oder dosiert. Nicht selten ist das Analgetikum unterdosiert und das Dekongestivumdosis sehr hoch gewählt. Beispielsweise 200 mg Ibuprofen mit 30 mg Pseudoephedrin. Damit das Schmerzmittel zuverlässig wirkt, sind 400 mg notwendig, mit 60 mg des Ephedrinderivates ist aber Mundtrockenheit vorprogrammiert.
Dekongestivahaltige Präparate sind auch ohne Analgetika auf dem deutschen Markt erhältlich. Eine Studie von Deckx et al. untersuchte die Wirkung von Dekongestiva als Monopräparat. Einbezogen wurden 15 randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien mit insgesamt 1.838 Teilnehmern. Sechsmal wurde nur eine einzelne Dosis verabreicht, in neun Studien wurden die Effekte einer Mehrfachgabe untersucht. Primärer Endpunkt war die behinderte Nasenatmung und das subjektive Allgemeinbefinden. Sekundäre Endpunkte waren der nasal gemessene Luftstrom (nasal airway resistance), Nebenwirkungen und Komplikationen wie Sinusitis oder Infektionen der unteren Atemwege. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Die Evidenz reicht nicht aus, um belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Ebenso wenig könne man eine Aussage treffen, ob die topische oder die systemische Anwendung vorteilhafter ist. Dazu reiche die Zahl der Studien nicht aus“. Keine Evidenz ist aber nicht gleichzusetzen mit keiner Wirkung.
Im März 2016 empfiehlt „apotheke adoc“ unter der Überschrift „Paracetamol und Phenylephrin sind pharmakologisch sinnvoll“ eine entsprechende Fixkombination, unterstützt wurde diese Publikation von einer Anzeige der Herstellerfirma. „Pharmakologisch kompatibel: Paracetamol und Phenylephrin. Als kinetisch kompatibel zu betrachten ist zum Beispiel die Fixkombination von Paracetamol mit Phenylephrin“. Als Begründung wird auf die ähnlichen Halbwertzeiten hingewiesen. Kinetische Kompatibilität hat jedoch mit der pharmakodynamischen Kompatibilität nichts zu tun! Ein Jahr zuvor warnte dasselbe Medium vor genau dieser Kombination und wies darauf hin, dass Phenylephrin die Wirkung und Nebenwirkung von Paracetamol verstärkt, diesmal ohne Begleitung einer Anzeige.
In einem Brief an die Herausgeber des renommierten New England Journal of Medicine warnten die Pharmazeuten Atkinson und Anderson davor, dass Paracetamol den Blutspiegel von Phenylephrin auf 400 Prozent ansteigen lässt. Unter Ibuprofen tritt diese Interaktion nicht auf. Die Autoren vermuten, dass Paracetamol sowie Ascorbinsäure den Abbau von Phenylephrin hemmen. In deutschen Apotheken ist ein Kombipräparat erhältlich, in dem alle drei Substanzen enthalten sind! In einer weiteren Studie wurde die Auswirkung der Dualkombination auf den Blutdruck und die Herzfrequenz untersucht. Beide Parameter steigen unter der Kombitherapie signifikant stärker an als unter Phenylephrin allein. Für Pseudoephedrin ist diese Interaktion nicht dokumentiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) schreibt der Substanz jedoch ein erhebliches Risiko- und Missbrauchspotenzial zu: „Pseudoephedrin hat eine deutliche zentralstimulierende Wirkung, die zu Unruhe, Angst und Schlafstörungen führen kann. Es kann missbräuchlich als Ausgangsstoff für die Herstellung von Metamphetamin verwendet werden“. Nach Abwägung der Nutzen-Risiko-Relation scheinen orale Dekongestiva in der Kombination mit Analgetika grundsätzlich sinnvolle Arzneimittel zu sein. Es ist zwingend erforderlich, vor der Empfehlung für alle Kombinationspartner die Kontraindikationen abzuklären und die empfohlene Dosierung zu prüfen.