In den letzten Wochen mit der Grippewelle wurde ich folgende Fragen sehr oft gefragt: Wann bin ich wieder gesund? Wann kann ich wieder arbeiten? Wird dieses Medikament mir helfen? Kann ich morgen/ in zwei Tagen/ in einer Woche in den Urlaub fahren? Darauf kann ich immer nur antworten: Ich weiß es nicht.
Natürlich kenne ich den üblichen Krankheitsverlauf, die durchschnittliche Krankheitsdauer und die üblichen Komplikationen. Und ja, ich kann ungefähr abschätzen, ausgehend von Schwere der Krankheit, allgemeinem Gesundheitszustand und Alter des Patienten, wie lange ungefähr der Infekt andauern wird. Nur ein Hellseher bin ich nicht.
Deswegen werde ich mich nicht zu irgendwelchen Aussagen hinreißen lassen. Es ist im Umkehrschluss auch nicht meine persönliche Schuld, wenn der Infekt beispielsweise länger als die übliche Woche dauert, und vielleicht Komplikationen wie eine Sinusitis hinzugekommen sind. Ich kann auch nicht vorhersehen, bei wem die Hausmittel vielleicht nicht so anschlagen oder wer dieses oder jenes Medikament nicht so verträgt. Was für Erkältungserkrankungen gilt, gilt natürlich auf für alle anderen Krankheiten.
Ich gebe generell nie Prognosen über die restliche Lebensdauer eines Patienten mit einer unheilbaren Krankheit ab, auch wenn es natürlich Erfahrungswerte gibt, aber was nützt der Durchschnitt, wenn es doch auf das Einzelschicksal ankommt? Der Durchschnitt kann mit einer bestimmten Diagnose vielleicht 2 Jahre überleben, für meinen Patienten sind es vielleicht 6 oder nur ein Jahr.
Auch über den Erfolg von bestimmten Therapien oder Medikamenten treffe ich keine Aussage. Natürlich denke ich, dass der Patient von einer bestimmten Therapie profitieren wird, bzw. der Nutzen größer als die Risiken sind, sonst würde ich diese Therapie nicht vorschlagen. Wie sie aber im Einzelfall anschlagen wird, weiß ich nicht, ich kann es nur vermuten.
Neben meinen fehlenden hellseherischen Fähigkeiten weiß ich auch nicht, was für meinen Patienten immer das Beste ist. Sicher, ausgehend von meinem Wissen über den individuellen Patienten, seine Krankheit und die Therapiemöglichkeiten kann ich dem Patienten einen Therapievorschlag machen, den ich für ihn für das Beste halte. Aber am Ende muss der Patient für sich eine Entscheidung treffen, weil er sich, seinen Körper und seine Lebenssituation am besten kennt. Ich kann ihm nur helfen, eine gut informierte Entscheidung zu treffen.
Auch wenn ich nicht die Zukunft vorhersehen kann, einige meiner Patienten können das: Vor ein paar Tagen beim Ausfüllen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen Patienten mit grippalem Infekt: „Ich schreibe Sie für 1,5 Wochen krank, sollte es bis dahin noch nicht besser sein, kommen Sie bitte am Mittwoch wieder.“ Patient: „Gut, dann sehen wir uns nächsten Mittwoch, bis dann!“ Sprach's und ging. Er konnte offensichtlich in die Zukunft sehen.