Das folgende Inserat von Uwe-Christian Arnold, Facharzt für Urologie aus Berlin, erschien in der Wochenend-Ausgabe der Ärzte Zeitung Nr. 112 am 24.10.2014. Dazu habe ich dem Kollegen Arnold in Form eines offenen Briefes geschrieben. Über Diskussionsbeiträge der Leserinnen und Leser meines "Schätzlers Blog auf DocCheck" würde ich mich freuen.
O F F E N E R B R I E F
Sehr geehrter Herr Kollege Arnold,
eine meiner Grundsätze lautet, mindestens 1-2 Tage ins Land gehen zu lassen, wenn eine Sache mich persönlich sehr bewegt. Deshalb bin ich für diese hektische Nachrichten-, Internet- und „what’s app“-Welt zu langsam, dafür umso nachhaltiger. Ihr persönliches Inserat in der Ärzte Zeitung 112 vom 24./25. 10. 2014, Seite 20, macht mich ebenso betroffen wie zunächst sprachlos.
Ich stellte mir dann anfangs aufgewühlt und aufgebracht folgende Fragen:
Wie kommen Sie dazu, sich „als Facharzt für Urologie aus Berlin und in Deutschland als Sterbehelfer bekannt“ zu titulieren, wenn Sie damit Berufsordnungs-widrig im Herumreisen ihre „gesetzlich zulässigen Sterbehilfe-Formen, einschließlich der ärztlichen Freitodhilfe“ ausüben wollen, während wir Vertragsärzte die Residenzpflicht zu beachten haben?
Sind wir Hausärztinnen und Hausärzte, und n u r für diese Gruppe kann ich aus 39-jährger Berufserfahrung (Staatsexamen 1975; lfd. 22 Jahre Vertragsarztpraxis) sprechen, etwa für familien- und biografisch- orientierte Versorgung über psychosoziale Grundversorgung, Schmerztherapie, Palliativmedizin, und Sterbebegleitung u n g e e i g n e t, weil wir damit als „Sterbehelfer“ zu unbekannt sind?
Verfügen wir etwa n i c h t über genügend urologisch-fachärztliche Empathie und teleologisch-telegene Debattenkultur, um medizinethisch zu reflektieren, ob „in ausweglosen Situationen … ein Patient selbstbestimmt entscheiden dürfen [sollte], wie er sterben will“?
Wollen sie etwa behaupten, das Ihre i. d. R. eher Neuropsychiatrie und Sozialmedizin f r e m d e medizinisch-urologische Sozialisation Sie dazu prädestiniert, „gesetzlich zulässige Sterbehilfe-Formen“ zu praktizieren?
O h n e differenzialdiagnostisch sicher eine Depression, eine depressiv agitierte Demenz, eine situative Fremdbestimmung, eine Vereinsamung, eine Selbstwert- und Identitätskrise, eine gesellschaftlich-familiär oder kränkungsbedingte Ich- und Selbstbehauptungs-Störung oder eine soziale Vereinsamung, Regressionshaltung bzw. das Gefühl des Lebensüberdruss, der Sinn- und Wertlosigkeit unterscheiden zu können?
Wenn Sie auf Grund Ihrer subjektiv-persönlich-ärztlich-ethischen Überzeugung „Kollegen, die bereit sind, Patienten in dieser Lage beizustehen“ suchen, reißen Sie damit nicht unsere Patientinnen und Patienten, die wir hausärztlich von der Wiege bis zur Bahre betreuen, aus ihren bio-psycho-sozialen Zusammenhängen und führen Sie einem wie auch immer gearteten „Dr. Death“ zu?
Nach reiflicher Selbstreflexion sind das provokant-provozierende Fragen, die interkollegial eher beschönigend und beschwichtigend gestellt, auch damit n i c h t gelöst werden können. Der Unmut bleibt, ob sich das nicht zu einem Missverständnis ärztlicher Tätigkeit als irrlichternder Todesengel entwickelt?
Denn die von Juristen, Ethikern, Medizinern, Philosophen, Dichtern und Denkern, Medien und der Öffentlichkeit immer wieder bemühte Begrifflichkeit von gelebter „Selbstbestimmung“ bis in den Tod hinein, geht doch über die freie Entscheidung und den freien Akt einer autonomen Freitod-Handlung hinaus. Gerade der Einsatz und die ggf. juristisch noch zu definierende Suizid-handlungsleitende B e g l e i t u n g durch Ärzte, Sterbehelfer, Theologen, Thanatologen, wohlmeinend-betroffene Angehörige, potenzielle Erben, Honorar-Vertragspartner, Freunde und Verwandte bedingen doch zugleich die I n f r a g e s t e l l u n g der eigentlichen Selbstbestimmung.
Wer sich nicht zu Lebzeiten im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit selbstbestimmt zur kulturellen Reflexion über sein zukünftiges Lebensende aufgeschwungen und ggf. beglaubigt entschieden hat, in einer ausweglosen Situation s e l b s t sein Leben beschließen und beenden zu werden, kann doch nicht mehr schwerstkrank, eingetrübt, somnolent, demenziell, präfinal oder im Todeskampf o h n e Druck f r e i über seinen eigenen Tod entscheiden, wenn dies dann nur und ausschließlich durch f r e m d e Hilfe und Hand möglich wäre?
Alles andere hat den Geruch von längst nicht bewältigter Begrifflichkeit „lebensunwerten Lebens“, einem demagogischen Schlagwort aus dem schwärzesten und verbrecherischsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte, dem Nazi-Deutschland. Ich bleibe dabei, „gesetzlich zulässige Sterbehilfe-Formen, einschließlich der ärztlichen Freitodhilfe (keine aktive, direkte Sterbehilfe)“, wie Herr Kollege Uwe-Christian Arnold aus Berlin schreibt, eignen sich n i c h t für eine populistisch-dampfplaudernde Debattenkultur. Daraus resultierende Todesfeststellungen sind zwingend als „Nicht natürlicher Tod“ in den unterschiedlichen amtlichen Todesbescheinigungen der Bundesländer zu kennzeichnen. Alles andere wäre Urkundenfälschung.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Dr. med. Thomas G. Schätzler
Facharzt für Allgemeinmedizin
Repros ©Praxis Dr. Schätzler