Gynäkologen sind als Frauenärzte in allen Lebenslagen und Altersklassen etabliert, der Urologe als Männerarzt leider nicht. Hier gibt es ein großes Defizit, denn die von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlte Vorsorge startet erst ab einem Alter von 45 Jahren, obwohl beispielsweise Hodentumoren ihren Altersgipfel zwischen dem 27. und 37. Lebensjahr haben.
"Was kann ich für Sie tun?" fragte ich freundlich.
Er lächelte schüchtern.
"Also", murmelte er. "Ich hab' da was an meinem linken Ei."
"Was denn?"
"So'n Knubbel. Und es ist größer geworden."
Mir schwante Arges. "Wann ist Ihnen das zum ersten Mal aufgefallen?" horchte ich nach.
"So vor einem Jahr."
Na, Klasse! dachte ich und sagte: "Und warum kommen Sie erst jetzt?"
"Ich hab' gedacht, das geht wieder weg."
Bei der sich anschließende körperliche Untersuchung fand ich einen fast auf doppelte Größe angeschwollenen, insgesamt knotig indurierten Hoden. Sonographisch sah man praktisch kein normales Parenchym mehr, sondern einen inhomogen, echoarmen Tumor. Klinisch handelte es sich eindeutig um Hodenkrebs. Da Herr P. schlank ist, konnte man durch seine Bauchdecke bereits ein großes retroperitoneales Lymphknotenpaket tasten.
Der Patient wurde im weiteren Verlauf semikastriert: Es handelte sich um ein klassisches Seminom im Stadium IIIA, das heißt neben den retroperitonealen waren auch mediastinale Lymphknotenmetastasen vorhanden. Heute, zwölf Monate nach drei Zyklen einer PEB-Chemotherapie ist Kevin P. gesund.
Frauen und Mädchen ist meistens klar, dass sie bei "Unterleibsproblemen" oder Fragen, die sich um Empfängnisverhütung oder ihre Brüste drehen, an den Gynäkologen wenden können, von denen es in der Bundesrepulik etwa 17.000 gibt. Doch an wen kann sich ein junger Mann ab einem Alter von 14 Jahren mit "Männerproblemen" wenden, wenn er sich für den Kinderarzt zu alt fühlt?
Die wengsten Patienten wissen zum Beispiel, dass das Risiko, an Hodenkrebs zu erkranken, zwischen 20 und 40 Jahren am höchsten ist: Die Inzidenz liegt in Deutschland bei etwa 4.000/Jahr, Tendenz steigend. Viele Männer, die als Kind einen Hodenhochstand hatten, sind sich nicht darüber im klaren, dass ihr Erkankungsrisiko deutlich erhöht ist.
Die Prävalenz des Klinefelter-Syndroms wird auf 80.000 in Deutschland geschätzt, aber nur etwa 15% davon werden diagnostiziert und therapiert, obwohl es eine mögliche Ursache für einen Hypogonadismus und eine Zeugungsunfähigkeit sein kann.
Aber die gesetzliche Früherkennungsuntersuchung greift erst ab dem 45. Lebensjahr, und den zweijährigen hausärztlichen Gesundheitscheck gibt es erst ab einem Alter von 35 Jahren, so dass Männer zwischen 14 und 35 in ein Präventivloch fallen. Wer hier den Arzt lediglich zu Vorsorgezwecken aufsucht, muss diese Leistungen aus eigener Tasche zahlen.
Eigentlich wäre der Urologe der ideale Ansprechpartner für Fragen der Männergesundheit. Doch der Gang zum Facharzt ist für Männer längst nicht so selbstverständlich wie für Frauen. Männer sind Vorsorgemuffel, und die Mehrheit assoziiert den Urologen mit Altherrenkrankheiten wie Prostatakarzinom und benigner Prostatahyperplasie und deren Folgen. Dabei haben viele Urologen, von denen es in Deutschkand etwa 5.500 (also etwa ein Drittel so viele wie Gynäkologen!) gibt, auch eine Zusatzausbildung zum Andrologen gemacht und wären daher ideale Ansprechpartner für alle männlichen Sexualstörungen wie Ejaculatio praecox, aber auch sexuell übertragbare Infektionen.
Frauen werden angehalten, ihre Brüste regelmäßig auf verdächtige Knoten abzutasten. Auch bei jungen Männern wäre es sinnvoll, dass sie einmal pro Monat ihre Hoden selbst untersuchen, um einen möglichen Hodenkrebs frühzeitig zu erkennen. Zwar haben maligne Keimzelltumoren selbst in fortgeschrittenen Stadien noch eine exzellente Prognose, doch kann bei frühzeitiger Diagnosestellung eine belastende Chemotherapie gegebenenfalls vermieden werden. Hodentumoren haben im Mittel eine Tumorverdoppelungszeit von sechs Wochen.
Hier gibt es also berufspolitisch einiges zu tun. Die Einrichtung und Propagierung spezieller Jungensprechstunden könnte helfen, Hemmschwellen abzubauen. Denn Gründe, den Urologen aufzusuchen, gibt es genug.
Bildquelle (Außenseite): Thorsten Hartmann, flickr