Ein gemischter Salat ist besser als eine Currywurst. Wer zu dick ist, leidet an Kontrollverlust und sollte lernen, sich zu zügeln. Dieses angebliche Allgemeinwissen ist weit verbreitet, nicht nur unter der Bevölkerung sondern auch unter vielen Ärzten. Aber stimmt das wirklich? Eines ist klar: Dünne sterben gesünder.
Bauchfett ist gefährlich, eine schlanke Taille gesund.
„Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin Denn dick sein ist 'ne Quälerei Ich bin froh, dass ich so'n dürrer Hering bin Denn dünn bedeutet frei zu sein“
So sang es Marius Müller-Westernhagen bereits 1978 in einem seiner erfolgreichstens Songs provokant auf seinem Album "Mit Pferminz bin ich dein Prinz" und löste damit einen Skandal aus, da man ihm vorwarf, sich über Übergewichtige lustig zu machen. Dabei spiegelt diese Lied nur den allgemeinen Schlankheitswahn unserer Gesellschaft wider. Heute singt die Amerikanische Künstlerin Meghan Trainor, selbst auch nicht mit einer Supermodelfigur ausgestattet, in ihrem Hit "All About That Bass" trotzig:
„You know I won't be no stick figure silicone Barbie doll So if that's what you're into then go ahead and move along“
(Weißt du, ich will keine klapperdürre Silikon-Barbiepuppe sein Also, wenn es das ist worauf du stehst, dann verzieh dich doch).
Und die Wissenschaft gibt ihr Recht.
In Deutschland ist mittlerweile jeder Zweite, gemessen am Body Mass Index (BMI) übergewichtig. Das klingt zunächst einmal erschreckend, bedeutet aber nicht zwingend, dass diese Menschen auch krank sind. Ein höheres Gewicht kann sogar der gesundheit nützlich sein. Ärztlich gesehen gilt jeder, der einem BMI über 25 hat als (prä-)adipös. Ab diesem Wert werden Menschen gewissernmaßen zum potentiellen Patienten: Ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II und andere Organstörungen korrelieren angeblich mit zunehmendem Übergewicht. Doch es ist auch bekannt, dass Diäten längst nicht jedem helfen. Zu kompex ist die Genese der Adipositas, und nicht zuletzt eine genetische Prädisposition spielt eine – man verzeihe mir das Wortspiel – gewichtige Rolle. Oft ist nur eine operative Magenverkleinerung oder Bypassoperation die einzige Möglichkeit zur effektiven Gewichtsabnahme. Dies sind aber höchst invasive Therapien.
Neuere Studienergebnisse belegen jedoch, dass dick nicht immer gleichzusetzen ist mit krank. So ist das Overall Survival adipöser Karzinom- oder Dialysepatienten oft besser. Selbst eine massive Adipositas bedeutet für sich genommen kein höheres Gesundheitsrisiko als Rauchen mit Normalgewicht. Manche Neurowissenschaftler sehen in einer Adipositas einen Anpassungsmechanismus an belastende Lebensumstände: Dicke schütten in Stresssiuationen weniger Kortisol aus als Dünne, so dass man annehmen kann, dass Fettpolster einen schützenderen Effekt auf die Anforderungen modernes Lebens haben als das das Schönheitsideal Schlanksein. Übergewichtige haben seltener Ostoporose und erleiden weniger Frakturen als Dünne.
Sicherlich sind diese Erkenntnisse keine Aufforderung zur hemmungslosen Völlerei. Wie jede Statistik können die Ergebnisse nicht einfach auf den Einzelnen übertragen werden. Nicht zuletzt spielen die heutzutage effektiven Therapiemöglichkeiten von Diabetes oder Hyperonie hier eine einflussreiche Rolle. Das geringste Sterblichkeitsrisiko besteht – statistisch gesehen – bei einem BMI zwischen 25 und 30. Bei Werten über 30 nimmt die Lebenserwartung wieder ab. Es ist also nur gesund pummelig zu sein. Ferner sagt der BMI nichts über den Körperfettanteil aus. Auch wer sehr muskulös ist, kann ein formal erhöhtes Gewicht haben.
Es gibt sie also die glücklichen Dicken. Nicht jeder Dicke ist träge und unfit. Aber die Diskriminierung adipöser Menschen ist so ziemlich die einzige noch akzeptierte Form der gesellschaftlichen Herabsetzung.
Vom Schlankheitswahn betroffene sollten in Anbetracht dieser Erkenntnisse lieber tolerant bleiben.
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