Das gute alte PARETO-Prinzip nach Vilfredo Pareto (1848–1923) als Pareto-Effekt bekannt, aber n i c h t validiert und in Vergleichsstudien evaluiert, besagt mit der 80-zu-20-Regel, dass 80% der Ergebnisse in 20% der Gesamtzeit eines Projekts erzielt werden können. Verbleibende und meist u n e r l e d i g t e 20% der Ergebnisse benötigen 80% der Gesamtzeit und verursachen damit die meiste Arbeit.
Viele Aufgaben lassen sich zwar mit einem Mitteleinsatz von ca. 20% so erledigen, dass 80% aller Probleme gelöst werden. Oftmals wird das PARETO-Prinzip aber kritiklos für eine Vielzahl von Problemen a u ß e r h a l b von VWL, BWL bzw. kaufmännischen Bereichen eingesetzt, ohne die Anwendbarkeit im Einzelfall belegbar zu machen. Millionen Menschen spüren das täglich an Hotline-, Service-, Dienstleistungs-, Banken-, Handel- und Versicherungs- Fehlleistungen und Falschberatungen bzw. bei gelegentlich nur zu 50 Prozent korrekt erledigten Gewerken im Handwerks-, Bau- und Produktionswesen.
Im Automobilbau, in der EDV-Hochtechnologie, in Kliniken oder Arzt-Praxen, bei der Pharmaindustrie, im medizinisch-industriellen Komplex, in Grundlagenforschung, Flugzeugbau, Raumfahrt und Systemanalytik bedingt PARETO u. U. tödliche Folgen und Kollateralschäden. Selbst in der Rüstungsindustrie lässt sich das Prinzip der "vorsätzlichen Ungenauigkeit" aus verständlichen Gründen nicht vermitteln, denn entweder wird der Feind nicht getroffen, oder die eigenen Leute müssen unter "friendly fire" leiden.
Mit diesem drastischen Beispiel will ich zur Publikation von Ferraris VA et al.: "Identification of Patients With Postoperative Complications Who Are at Risk for Failure to Rescue." in JAMA Surgery 2014 überleiten, die zwar formal und inhaltlich-intellektuell wenig mit dem PARETO-Prinzip zu tun hat: Unschwer daran zu erkennen, dass der Begriff "Pareto" im Titel "Identifikation von Patienten mit postoperativen Komplikationen und Risiko eines Rettungsversagens" ("Rettungsversagen" hier euphemistisch für Todesfälle) gar nicht auftaucht, sondern im Originaltext z. B. unter "Schlussfolgerungen und Relevanz" versteckt wird. ["Conclusions and Relevance - Twenty percent of high-risk patients account for 90% of failure to rescue (Pareto principle). More than two-thirds of patients with failure to rescue have multiple complications. On average, a few days elapse before death following a complication. A risk-scoring system based on preoperative variables predicts patients in the highest-risk category of failure to rescue with good accuracy. In high-risk patients who develop complications, our results suggest that early intervention, preferably in a high-level intensive care facility with a surgical training program, offers the best chance to reduce failure-to-rescue rates."]. "Rettungsversagen" ist der Versuch einer eleganten Umschreibung für die Hoch-Risiko Patienten, die trotz aller Bemühungen peri- und postoperativ verstorben sind.
Selbst bei simpler klinisch-chirurgischer Reflexion offenbart gerade der letzte Satz dieser JAMA-Veröffentlichung: "Bei Hochrisiko-Patienten, die Komplikationen entwickeln, legen unsere Ergebnisse die frühe Intervention, bevorzugt in einer Einrichtung mit hochqualifizierter Intensivstation und chirurgischem Trainingsprogramm nahe, um mit bestmöglichen Chancen die Raten an Rettungsversagen (failure-to-rescue) zu reduzieren", begriffliche und inhaltliche Naivität:
Wie soll das denn, bitteschön, mit müdem 20-Prozent-Einsatz und magerem 80-Prozent-Ergebnis funktionieren?
Zur Beruhigung meiner DocCheckBlog Leserinnen und Leser: Die tüchtigen Dachdecker haben das Nachbarhaus im Dortmunder Klinikviertel zu 100% perfekt gedeckt und 100% Prozent Arbeitseinsatz gezeigt.
Quelle: JAMA Surg. Published online September 03, 2014. doi:10.1001/jamasurg.2014.1338
Abbildung: Dachdeckerarbeit © Praxis Dr. Schätzler.
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