Die ischämische Präkonditionierung ist ein universeller körpereigener Schutzmechanismus, welcher nahezu alle inneren Organe vor Schädigungen durch Ischämie schützt. Ouabain entfaltet seine kardioprotektiven Effekte durch Aktivierung von Signalkaskaden, welche auch durch die ischämische Präkonditionierung aktiviert werden.
Komplexe Lebensformen wie Säugetiere können nur überleben, weil sie über ausgeklügelte molekulare Abwehr- und Reparatur-Systeme verfügen, mit denen sie ihren Organismus schützen. Diese körpereigenen Schutzmechanismen auch zur Vorbeugung und zur Behandlung von Krankheiten einzusetzen ist ein vielversprechender aktueller Therapie-Ansatz in der Medizin. Der derzeit wohl am intensivsten beforschte körpereigene Schutzmechanismus ist die ischämische Präkonditionierung. Diese fußt auf der Beobachtung, dass wiederholtes Unterbinden von Blutzufuhr zu einem Organ, jeweils gefolgt von Phasen der Wiederdurchblutung, vor Schädigungen des Organs durch lang anhaltende Mangeldurchblutung (Ischämie) schützt. Herz, Niere, Leber, Gehirn und nahezu alle inneren Organe [1] können durch ischämische Präkonditionierung vor Schädigungen durch Ischämie geschützt werden.
Die der ischämischen Konditionierung zugrunde liegenden Schutzmechanismen werden auch durch wiederholte Unterbrechung der Blutzufuhr mittels einer Blutdruckmanschette in den Armen aktiviert (Fern-Präkonditionierung, remote preconditioning). Die Fern-Präkonditionierung [2] durch Ischämie im Arm setzt eine oder mehrere im Blut zirkulierende Substanzen frei, welche den Multiorganschutz bewirken. So ist es möglich, die Schutzwirkung durch Blutübertragung von einem präkonditionierten Donor auf einen nicht konditionierten Empfänger zu übertragen. Die Struktur der Wirksubstanz(en) ist noch nicht bekannt. Es handelt sich wahrscheinlich um niedermolekulare, hydrophobe Verbindungen. Alternativ wird eine Beteiligung von Nervenbahnen an der Reizübermittlung des Schutzeffektes diskutiert [3]. Ermutigende experimentelle und klinische Ergebnisse werden aktuell berichtet in der Behandlung von Herzkrankheiten [4-6], Schlaganfall [7,8] und Parkinson’scher Krankheit [9]. Es wird in vielen Laboratorien intensiv daran gearbeitet, niedermolekulare Wirkstoffe zu finden, mit denen eine schützende Präkonditionierung induziert werden kann (pharmakologische Präkonditionierung).
Die Entdeckung des Schutzeffektes durch ischämische Präkonditionierung wird Murry, Jennings und Reimer zugeschrieben, welche 1986 den Schutz durch Präkonditionierung in Experimenten mit Hundeherzen gezeigt haben. Doch bereits 1949 hat der Physiologe Hermann Rein ebenfalls an Hunden gezeigt, dass zeitweilige Ischämie und auch Hypoxie kardioprotektive Effekte auslösen [10-12]. Er hat gezeigt, dass Ischämie ebenso wie Hypoxie in der Milz offenbar einen Wirkstoff frei setzt, welcher unter Erhalt der Schutzwirkung mit dem Blut von einem Donor-Tier auf ein Empfänger-Tier übertragen werden kann. In der Zeit von Rein’s Experimenten war Strophanthin in Deutschland das Standard-Medikament zur Behandlung von ischämischen Herzkrankheiten. Deshalb verwundert es nicht, dass Rein die Wirkung des durch Ischämie freigesetzten Wirkstoffs, welchen er als „Hypoxie-Lienin“ bezeichnete, mit der von Strophanthin verglich. Rein beobachtete eine weitgehend übereinstimmende Wirkung. Im Gegensatz zu Hypoxie-Lienin verfügt das Strophanthin aber über eine länger anhaltende Wirkung. Rein schreibt, dass nach Strophanthin Gabe „das Tier einfach für Stunden resistent gegen O2-Mangel geworden ist“. Diese Beobachtung im Tierexperiment stimmt überein mit der klinischen Erfahrung beim Einsatz von Strophanthin am Menschen. Edens, Universität Düsseldorf, hatte bereits in den 1930er Jahren gezeigt, dass Strophanthin vor allem zur Behandlung von ischämischen Erkrankungen des Herzens wie Angina Pectoris hervorragend geeignet ist. Aktuelle in-vitro und in-vivo Arbeiten mit Ouabain (deutsches Synonym: g-Strophanthin) bestätigen die Jahrzehnte langen positiven klinischen Erfahrungen mit Strophanthin. Ouabain zeigt in sub-inotropischen Konzentrationen kardioprotektive Wirkungen an Ratten- und Kaninchen-Herzen [13,14].
Die der ischämischen Präkonditionierung zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind Gegenstand aktueller Forschungen. Es gibt Hinweise darauf, dass die bei Ischämie im Organismus freigesetzten Substanzen die Aktivität der Natriumpumpe beeinflussen [15]. Gesichert ist die Beteiligung von verschiedenen Signalkaskaden, welche auch durch Wechselwirkung von Ouabain mit der Natriumpumpe ausgelöst werden [16,17]. Hierzu zählen insbesondere die durch Proteinkinase C und MAP-Kinase induzierten Signalkaskaden sowie die Glykogen Synthase. Deren Funktionen sind es, die Kalziumkanäle der Zellmembran, der Mitochondrien und der Poren des mitochondrialen Permeabilitätsübergangs zu öffnen [18]. Hieraus resultiert eine bessere Erhaltung der Energiereserven. Es gilt heute als gesichert, dass Ouabain seine kardioprotektiven Effekte durch Aktivierung dieser Ouabain-Na/K-ATPase-Signalosome entfaltet, welche unabhängig sind von der Ionen-Pumpfunktion der Natriumpumpe. Die durch ischämische Präkonditionierung ebenso wie durch Ouabain induzierten Signalkaskaden führen zum Schutz nahezu aller inneren Organe. Damit wird auch der „extrakardiale“ protektive Effekt von Ouabain bei Schlaganfall und Nierenentwicklung verständlich. Die Wirkung der Signalosome auf die für die Energiebereitstellung wichtigen Mitochondrien bestätigt und erklärt zudem die klinischen Erfahrung mit Strophanthin, bei der eine positive Wirkung auf den Energiehaushalt des Herzens beobachtet worden war. Während Digoxin wegen seiner starken, den Energieverbrauch steigernden Inotropie bekannt war als „Peitsche für das hungernde Pferd“ wurde Strophanthin von den Klinikern charakterisiert als „Hafer für das hungernde Herz“.
Die übereinstimmenden Effekte von Ouabain und ischämischer Präkonditionierung machen Ouabain zum idealen Wirkstoff für die pharmakologische Präkonditionierung. Sicherheit, Verträglichkeit und Wirkung des g-Strophanthin sind durch Jahrzehnte lange klinische Verwendung bereits nachgewiesen worden.
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