Die Debatte um die Legalisierung von Sterbehilfe geht am eigentlichen Problem vorbei. Statt dem Patienten beim Suizid zu assistieren, sollte Ärzte lieber sinnlose Therapien verweigern.
"Die Würde des Mensche ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt." So steht es im Artikel 1, Absatz 1 als Grundrecht im Grundgesetz für die Bundesrepubik Deutschland.
In Würde zu sterben ist jedoch in Deutschland gar nicht so einfach, da der Tod in unserer Gesellschaft zunehmend tabuisiert wurde. War es vor einigen Jahren noch normal, zu Hause im eigenen Bett zu sterben, so findet das Lebensende heutzutage vor allem in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Hospizen, fernab von den Augen der Allgemeinheit statt, da die meisten nicht damit konfrontiert werden wollen, obwohl Leiden und Tod zu unserem Leben dazu gehören und vor allem der Tod unausweichlich ist. Dass Sterben normal ist und auch erlösend sein kann, erleben die meisten Menschen nicht mehr. Was wir jedoch nicht kennen, macht uns nur mehr Angst.
Aktuell wird öffentlich und politisch debattiert, ob aktive Sterbehilfe, also der ärztlich assistierte Suizid in Deutschland unter bestimmzten Voraussetzungen legalisiert werden sollte. Dabei werden gerne Argumente ins Feld geführt, dass man bei Tieren sinnloses Leiden aufgrund einer nicht behebbaren Gesundheitsstörung durch Euthanasie verhindert, während Menschen dieser Weg versperrt bleibt. Doch sind Krankheit, Siechtum und Schmerzen wirklich würdelos? Oder nimmt vielmehr der Tod auf Bestellung in unserer stromlinienförmigen Leistungsgesellschaft dem Leben und Leiden die Würde? Ist das Ziel ein sozialverträgliches Frühableben? Und wer soll darüber entscheiden, bei weichen Patienten die Prognose wirklich so aussichtslos und das Leid so groß ist, dass die Anleitung zum Selbstmord indiziert ist? Trifft dies nur auf Menschen mit körperlichen Gebrechen zu oder auch auf chronisch psychisch Kranke? Schließlich sehen auch Menschen mit schweren Depressionen oft keinen anderen Ausweg als sich selbst zu töten. Soll ihnen dann ärztlich dabei geholfen werden können?
Früher war es nicht ungewöhnlich, dass ältere Menschen an irgendeinem Punkt das Essen und Trinken einstellten und in Folge kurz darauf verstarben. Man nannte das dann Altersschwäche. Die Minderung der Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit ist ein Teil des natürlichen Sterbeprozesses. Was passiert heutzutage häufig in solchen Fällen, nicht zuletzt auch in Seniorenpflegeheimen? Diese Menschen bekommen eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), werden quasi zwangsernährt und leben weiter, ohne dass dies die Lebenqualität der Betroffenen wirklich steigert.
Als Urologe werden mir immer wieder Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zur Harnableitung vorgestellt, die tumorbedingt eine meist asymptomatische Harnstauung mit oder ohne erhöhten Retentionswerten entwickeln und deren Prognose letztlich infaust ist. Dass ein Tod durch Urämie möglicherweise würdevoller ist als ein protrahiertes Tumorleiden und dass eine Harnleiterschiene oder sogar eine perkutane Nephrostomie die Lebensqualität im Einzelfall erheblich einschränken können, wird dabei nicht bedacht. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele dieser Patienten gar keine invasive Therapie mehr wünschen, wenn man diese Problematik offen mit ihnen bespricht. Leider haben jedoch auch viele Ärzte Hemmungen, ein möglicherweise früheres Sterben billigend in Kauf zu nehmen und damit die eigene Hilflosigkeit in bestimmten Situationen sich selbst einzugestehen und auch vor dem Patienten zuzugeben. Infolgedessen gibt man sich zweifelhaftem Aktionismus hin.
Auf der anderen Seite ist die Palliativmedizin in den meisten Fällen sehr effektiv in der Lage Schmerzen und anderes krankheitsbedingtes Leid am Lebendende zu kupieren. Kaum einer muss wirklich Angst vor unnötigem Siechtum haben.
Beihilfe und sogar Anstiftung zum Selbstmord bleiben in Deutschland bereits unter geltendem Recht straffrei. Eine darüber hinaus gehende juristische Regelung, die den ärztlich assistierten Suizid zur gangbaren Behandlungsmethode erhebt, halte ich für eine bedenkliche und nicht wünschenswerte gesellschaftliche Entwicklung. Jakob Augstein schreibt in diesem Zusammenhang auf SPIEGEL Online sehr zutreffend: „Wenn das Schule macht, wird die Frage "Wohin mit Oma" bald einen anderen Tonfall bekommen. Wer schützt Alte und Kranke vor dem äußeren - oder inneren - Druck, die anderen und sich selbst von der Last und den Lasten des eigenen Leids zu befreien? In Wahrheit ist der Tod auf Bestellung kein Gewinn an Freiheit. Sondern eine Kapitulation - vor dem Leben und vor dem Geist des Zwecks. Ärzte und Konzerne helfen uns mit chirurgischen und kosmetischen Mitteln dabei, das Altern zu verlernen. Nun sollen wir uns von Schmerz und Leid abwenden. Es lebe die Effizienz, es lebe die Optimierung!”
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