In den letzten Wochen habe ich gemerkt, wie sehr man als niedergelassener Hausarzt auf die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda und das Getratsche der Leute angewiesen ist.
Wir wunderten uns zunächst, warum seit einiger Wochen nach den Sommerferien die Praxis irgendwie leerer als sonst erschien. Nicht so, dass wir uns langweilen oder am Hungertuch nagen würden, aber schon so, dass es uns und auch teilweise den Patienten aufgefallen ist. Dann begannen wir die Gerüchte zu hören. Frau Doktor würde jetzt nebenbei eine Physiotherapiepraxis aufmachen, weil sie den Rachen nicht voll bekommt. Die einen haben erzählt, in der XY-Straße, die anderen, nein völlig falsch, in der YZ-Strasse. Mehrere Bekannte und Patienten erzählten uns dieses Gerücht in verschiedenen Ausprägungen. Wer die Quelle dafür war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Manchmal ist ja an Gerüchten wenigstens ein Fünkchen Wahrheit, an diesem überhaupt nicht. Ausser das sich wirklich eine neue Physiotherapeutin im Ort niedergelassen hat. Mit der haben wir aber überhaupt nichts zu tun, wir kennen sie nicht mal.
Ein anderes Gerücht, was zurzeit auch rumgeht, ist, dass Frau Doktor eh bald in Rente geht. Auch das ist völliger Schwachsinn, sie denkt nicht mal ansatzweise in den nächsten 5 Jahren ans Aufhören und erfreut sich auch bester Gesundheit.
Anscheinend sind diese Gerüchte mit der Grund, dass einige Patienten uns meiden bzw. zu dem Nachbararzt gewechselt sind.
Es erschreckt mich ein wenig, aus welchen Gründen der Arzt gewechselt wird, bzw. der eine Arzt dem anderen vorgezogen wird. So erzählte mir heute eine ältere, eigentlich sehr kluge Patientin, sie wollte ja nicht mehr zu Frau Doktor gehen, weil angeblich von der Nachbarin dessen Enkeltochter bei Frau Doktor nicht den Blutdruck gemessen bekommen hat, obwohl sie es doch mit Druck hat und der andere Arzt das sofort gemacht hat. Abgesehen vom Wahrheitsgehalt dieser Geschichte, gibt es tausend Gründe, warum man vielleicht nicht immer den Blutdruck bei jungen Frauen misst. An einer erzählten Geschichte dann so eine wichtige Entscheidung festzumachen oder gar zu wechseln, erschliesst sich mir überhaupt nicht.
Zumal die Patientin selbst sehr zufrieden mit Frau Doktor war. Auf meine Frage, warum sie dann wieder zurückgewechselt ist von dem Nachbararzt zu uns, kam die Antwort, er wäre nicht zum Hausbesuch gekommen, als es der Schwiegermutter der Nachbarin von gegenüber so schlecht gegangen wäre. Das fand sich auch nicht gut, deswegen ist sie zurückgekommen. Sachen gibts.
Ich arbeite wirklich gerne als Landarzt, aber es macht mir doch ein wenig Bedenken, wieviel Schaden Menschen mit ihrem Getratsche anrichten können. Da verliert man auf einen Schlag durchaus 200 Patienten im Quartal, weil ein Gerücht umgeht, das zwar überhaupt nicht stimmt, aufzuhalten oder gar umzukehren ist es aber nicht. Ich hoffe nur, dass sich diese Gerüchte schnell auflösen und wir wieder zu unserem normalen Betrieb zurückkehren können. Erstaunlich, wieviel Schaden ein paar Worte anrichten können.
Bildquelle (Außenseite): Digital Vision, thinkstock