„Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige, das Grund dazu hat“, wusste schon Mark Twain. Noch heute stellt das biologische Phänomen Forscher vor Rätsel. Medizinisch gibt es etliche Möglichkeiten, zu intervenieren.
Peinliche Situationen gibt es um Weihnachten herum zur Genüge. Wir schütten uns beim festlichen Essen bei den Schwiegereltern Rotwein über das Hemd. Und zack – schon schießt uns die Röte ins Gesicht. Ein teures Geschenk oder ein Kompliment in großer Runde zeigen ähnliche Effekte. Innerhalb von 15 Sekunden erreicht die Farbe ihr Maximum, verbunden mit einem Temperaturanstieg von bis zu einem Grad. Warum Menschen in peinlichen Situationen überhaupt rot werden, haben Wissenschaftler noch nicht verstanden. Ärzte können Patienten, die zu stark an glühenden Wangen oder am roten Gesicht leiden, mittlerweile helfen. Wo die Medizin gerade steht, zeigt ein aktueller Übersichtsartikel.
Erröten ist nach aktuellem Wissensstand die einzige bekannte Reaktion des Körpers, die ausschließlich in sozialen Situationen auftritt. Wer sich im stillen Kämmerlein ungeschickt anstellt, zeigt keine unerwünschte Färbung. Das brachte Psychologen um Matthew Feinberg von der Universität Berkeley zu folgender, umstrittener These: Wer rot wird, zeigt seinem Gegenüber an, sich der Regelverletzung bewusst zu sein. Beim Gegenüber gelte dies als sozial und vertrauenswürdig, so Feinbergs Fazit aus mehreren Untersuchungen. „Die holde Scham“ – Erröten anno 1876, ein Artikel aus der „Gartenlaube“. Quelle: Wikimedia Commons. Voraussetzung für das Beschwichtigungssignal ist helle Haut. Bei dunkelhäutigen Menschen treten die gleichen Effekte auf, lassen sich aber kaum wahrnehmen. Warum wir auch bei Komplimenten oder beim Geburtstagsständchen erröten, vermag dieser Ansatz nicht zu erklären. Vielleicht handelt es sich doch eher um eine körperliche Warnung an den Betroffenen selbst, sozial schwierige Situationen sofort zu erkennen.
Für manche Menschen entsteht daraus ein gewaltiges Problem. Einen Höhepunkt erreicht die Errötungshäufigkeit, wenig überraschend, mit der Pubertät. Betroffene entwickeln Vermeidungsstrategien, um ja nicht in Situationen zu kommen, die mit Erröten einhergehen könnten. Eine Erythrophobie (Errötungsangst) ist bei ihnen nicht selten. Niederländischen Forschern zufolge sind von der Erythrophobie bis zu vier Prozent aller Menschen betroffen. Jeder zweite Patient mit sozialen Phobien errötet regelmäßig. Bei der Verhaltenstherapie geht es nicht nur um die Ursachen. Vielmehr lernen Patienten, sich bei sozialen Interaktionen wieder mehr auf ihre Gesprächspartner zu konzentrieren. Im geschützten Rahmen haben sie die Möglichkeit, verschiedene Situationen auszuprobieren, etwa ein Gespräch mit Vorgesetzten oder Partygästen. Das Verfahren ist als Ultima Ratio bei Hyperhidrose bekannt geworden, hilft aber auch gegen unerwünschtes Erröten. Einzelne Ganglien des Sympathikus werden reversibel oder irreversibel unterbrochen. Smidfeld und Drott raten Chirurgen, nur geeignete Patienten für den Eingriff auszuwählen. Pleuraerkrankungen oder Thorakotomien in der Vorgeschichte erschweren jede ETS. Gleichzeitig warnen sie vor unrealistischen Erwartungen. In vielen Fällen benötigen Betroffene auch postoperativ noch psychologische Unterstützung. Komplikationen sind bei erfahrenen Operateuren rar. Hier sind vor allem vorübergehende Pleuradrainagen zu nennen. Nach irrtümlicher Schädigung des Ganglion stellatum kommt es zum Horner-Syndrom mit Miosis, Ptosis und Enophthalmus. Möglichen Risiken stehen gute Resultate gegenüber. Basierend auf Daten von 648 Patienten berichten Smidfeld und Drott, 73,5 Prozent seien mit dem Ergebnis zufrieden, 11,0 Prozent seien unzufrieden und 15,5 Prozent bereuten ihre Entscheidung, sich unter das Messer zu legen. Ihr Follow-up umfasste im Schnitt 14,6 Jahre. Bleibt als kritische Anmerkung: Vor einer ETS sollten laut National Institute for Health and Care Excellence (NICE) alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.