Sprechen wir von Bakterien und Viren, so verbinden sich damit meist automatisch Vorstellungen von Krankheit und Tod. Doch verschieben wir unseren Blick auf die Mikroben, die uns besiedeln, nur ein ganz klein wenig, dann werden diese vermeintlichen Feinde plötzlich Freunde. Unser Mikrobiom sorgt dafür, dass wir gesund bleiben - so die neue Sichtweise der Forscher auf der STI-Tagung 2014 in Berlin.
Alle Pflanzen, Tiere und in gleicher Weise auch der Mensch werden von unzähligen Mikroorganismen bewohnt. Der menschliche Körper allein besteht dank der auf seiner Oberfläche und an den inneren Schleimhäuten sitzenden Bakterien aus mehr Fremdorganismen denn eigenen Zellen. Und dennoch haben wir meist nichts von diesen Mikroben zu befürchten. In Jahrmillionen bildete sich eine komplexe Lebensgemeinschaft zum beiderseitigen Nutzen heraus. Bakterien und Immunsystem fanden einen Weg zur friedlichen Koexistenz. Wird das Immunsystem jedoch geschwächt, oder zerstören wir diese Partnerschaft auf Haut und Schleimhäuten mittels alkalischer Reinigungsmittel bzw. Antibiotika, verlieren wir unsere kombinierte Abwehr. Krankheitskeime haben dann leichtes Spiel.
Wir beginnen gerade erst, zu verstehen
Ist der Mensch vielleicht sogar die Summe seiner Viren? Dank des in den letzten Jahren entwickelten Ultra Deep Sequencing-Verfahrens zeigte sich, dass ein Großteil des menschlichen Genoms aus viraler DNA besteht. Eine wirkliche Gesundheitsgefährdung lässt sich für diese ruhenden Viren nicht finden. Interessant daran ist, dass selbst Viren anzutreffen sind, die bisher als humanpathogen eingestuft wurden, aber scheinbar friedlich mit uns zusammenleben. Ein weiteres Novum, welches durch die neuen Forschungen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde: Spezielle Viren, die sogenannten Bakteriophagen, patrouillieren in unserem Körper und könnten vor allem im Darm die Zusammensetzung der Darmflora entscheidend beeinflussen. Haben die Mikroben unseres Körpers somit etwa einen diagnostischen und therapeutische Wert?Mikrobiomanalysen in der Praxis
Veränderungen des humanen Mikrobioms stehen mit einer Vielzahl von Krankheiten in Zusammenhang. Dazu gehören Hautkrankheiten ebenso wie Diabetes mellitus Typ 2, Arteriosklerose und Adipositas. Im Fall der Adipositas scheint zudem ein wechselseitiger Einfluss zwischen Darmbakterien und Körpergewicht zu bestehen, d.h. die „falschen“ Darmbakterien sorgen für einen veränderten Stoffwechsel der Nahrungsbestandteile, was zu Übergewicht führen kann. Auf der anderen Seite beeinflusst Fettleibigkeit die Zusammensetzung (Präferenz) der Darmflora.
Um den Einfluss bestimmter Veränderungen des humanen Mikrobioms auf Krankheiten zuverlässig vorhersagen zu können, müssen derzeit noch die infrage kommenden zukünftigen Nachweisverfahren validiert und standardisiert werden. Doch in jedem Fall verändern die Erkenntnisse zum humanen Mikrobiom bereits heute die Sichtweise auf weitverbreitete Erkrankungen des Menschen.
Klassische Krankheiten neu bewertet
Wie eng die körpereigene Abwehr und die Darmmikroflora zusammenarbeiten wird am Beispiel des Morbus Crohn sowie der Colitis ulcerosa deutlich. War die bisherige Annahme, dass es sich bei beiden zumindest im Ansatz um autoimmune Erkrankungen handelt, entwirft die Mikrobiomforschung ein zunehmend differenziertes Bild des entzündeten Darms. Genetische Defekte, die die Zusammensetzung der Schleimhautbarriere im Darm verändern, sind nach neuesten Erkenntnissen die Hauptursache für entzündliche Darmerkrankungen. Muzine, die Schleimstoffe der Mukosa, dienen nicht nur der angeborenen Immunabwehr von Krankheitserregern, sondern eben auch als erste Anheftungsbasis für eine Vielzahl helfender Darmbakterien. Ohne die schützende Schleim- und Bakterienschicht können sich Krankheitserreger anlagern und die Darmzellen schädigen. In der Folge kommt es zu den schweren, chronischen Entzündungsverläufen, wie sie bei der Colitis ulcerosa oder beim Morbus Crohn beobachtet werden.
Die moderne Mikrobiom-Forschung könnte die zukünftige Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit revolutionieren. „Es ist an der Zeit, den menschlichen Körper als Summe seiner Mikroben zu verstehen, denn nur so können wirksamere und dennoch schonende Therapieverfahren entwickelt und angewendet werden“, schlossen die Forscher dazu auf ihrem Symposium.
Quelle: Leopoldina-Symposium 18. Juni 2014, Rotes Rathaus Berlin