Glaubt man der Gesundheitspolizei, so ist ist heutzutage fast schon eine soziale Pflicht, möglichst schlank, sportlich fit, jung (geblieben) und gesund zu sein. Tatsächlich oder vermeintlich gefährliches Verhalten wird zunehmend geächtet oder sogar sanktioniert. Aber wo sind die Grenzen?
Rauchen gefährdet die Gesundheit. Punkt! So oder noch gezielter und abschreckender formuliert steht es in nicht übersehbaren Lettern auf jeder Zigarettenschachtel, jedem Tabaksbeutel oder Zigarrenkiste. Diese Aussage ist wissenschaftlich fundiert, und wer etwas anderes behauptet, macht sich zweifellos lächerlich. Dass es hier bezüglich der Risiken Unterschiede zwischem dem suchtmäßigen Konsum von einer oder mehreren Packungen Glimmstengeln und dem gelegentlichen Genussrauchen von Pfeifentabak oder Zigarren gibt, sei dahingestellt. Rauchen kann krank machen, sogar Passivrauchen: pAVK, KHK, Bronchialkarzinome, Urothelkarzinome, erektile Dysfunktion, um nur einige mögliche Folgen zu nennen.
Aus diesem Grund wurden politisch verordnete Rauchverbote, welche man unter moralischen, gesundheitspolitischen und medizinischen Gesichtspunkten sehen kann, in den vergangenen Jahren immer weiter ausgeweitet und haben teilweise sogar zu einer gesellschaftlichen Ächtung von Rauchern geführt, obwohl immer noch etwa 30% der Deutschen die Droge Nikotin nutzen und der Staat aufgrund der nicht unerheblichen Einnahmen aus der Tabaksteuer ein zwiespältiges Interesse daran hat. Denn die durch den Tabakgebrauch entstehenden Folgekosten für das Gesundheitswesen sind enorm und müssen von der Solidargemeinschaft getragen werden.
Im Angesicht steigender Krankenkassenbeiträge ruft dies immer wieder (teilweise selbst ernannte) Gesundheitspolzisten auf den Plan, denen die bisherigen Regelungen noch nicht weit genug gehen: Noch drastischer sollen die Warnungen auf den Schachteln werden, noch weniger ansprechend die Verpackungen, ein Werbeverbot verhängt werden, um das Rauchen unattraktiv zu machen. Am besten wäre für mache ein komplettes Verbot, zumindest in der Öffentlichkeit. Und selbst in den eigenen vier Wänden gab und gibt es schon Bestrebungen, das Rauchen einzuschränken, weil nichtrauchende Nachbarn sich gestört fühlen. Dabei können Sanktionen so manchen erst recht neugierig machen (siehe: illegale Drogen), denn dass eine Prohibition nicht funktioniert, wenn ein entsprechender Markt vorhanden ist, haben die U.S.A. in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts mit einem absoluten Alkoholverbot eindrucksvoll erfolglos bewiesen. Al Capone lässt grüßen.
Daher gibt es auch immer wieder Forderungen, die Solidargemeinschaft dadurch zu entlasten, dass Raucher zum Beispiel durch Risikozuschläge bei den Krankenversicherungen bestraft werden, um so die durch ihr gesundheitsschädliches Verhalten verusachten Kosten abzuwälzen. Klingt auf den ersten Blick vielleicht nur allzu gerecht, aber wo sind hier die Grenzen? Welchen Präzedenzfall würde man hiermit schaffen?
Auch anderes, teils weit verbreitetes Verhalten ist – zumindest potentiell –gesundheitsschädlich: übermäßiger Alkoholkonsum, Fettleibigkeit, illegaler Drogenkonsum, Fahrradfahren ohne Helm oder einseitige (zum Beispiel auch falsche vegane) Ernährung. Sportmuffel sind genauso gefährdet, krank zu werden, wie die Betreiber von Risikosportarten (Fallschirmspringen, Paragliding, Base-Jumping, Klippenspringen, Wingsuit-Fliegen, Bergsteigen, Free Climbing, Tauchen, Wildwasserkajak, Bunjee-Jumping, Skifahren usw.), einen eventuell sogar schweren Unfall zu erleiden, welches ebenfalls hohe Kosten verursachen kann. Motorradfahrer sind bei einem selbst- oder fremdverschuldeten Verkehrsunfall in der Regel dramatischer verletzt als Autofahrer. Auch so mancher Breitensport ist höchst unfallträchtig. Müssen auch diese Menschen demnächst einen Zuschlag zahlen? Was ist mit Eltern, die bewust ein Kind mit Erbkrankheiten oder Behinderungen in die Welt setzen, für dessen Behandlungskosten auch die Allgemeinheit aufkommen muss? Was mit den Angehörigen von unrettbar Kranken, die sich sich weigern, eine kostspielige, augenscheinlich sinnlose Behandlung abzubrechen und den Patienten sterben zu lassen? Heutzutage können bereits Gentests ein familiäres Risiko aufzeigen, an einer Reihe von Erkrankungen wie bestimmten Karzinomen zu erkranken. Muss man einen alten Patienten noch dialysieren oder eher ein sozialverträgliches Frühableben fordern? Prangt demnächst auf jeder Fleischverpackung und jedem Schokoriegel ein Warnaufkleber: "Essen kann krank machen"? Ist auf der Schachtel einer bekannten Schokolade für Kinder dann statt eines freundlich lächelnden Jungen zur Abschreckung ein kleiner Fettwanst mit kariösem Gebiss abgebildet? Sollte Zucker noch frei verkäuflich sein? Machen Kartoffelchips süchtig? Schon jetzt wird in vorauseilendem Gehorsam bei der Werbung für manche Alkoholika zu vernünfigem Genuss aufgerufen. Dabei schließt übermäßiger Gebrauch echten Genuss an einem Produkt fast schon aus.
Von der Aufklärung über gesundheitliche Risiken zur Gesundheitspolizei und Fürsorgediktatur ist es nur ein kleiner Schritt. Wer riskant lebt, schadet der Allgemeinheit, die für die Folgekosten des Sünders aufkommen muss. Diese Logik ist jedoch das Ende jeglicher persönlicher Freiheit, denn alles was ich tue, kann sich auf die Solidargemeinschafft auswirken. Bereits heute kann man sich teilweise nicht des Eindrucks erwehren, dass Gesundheit eine Tugend und fast schon eine soziale Pflicht ist. Wollen wir das?
Schon jetzt gibt es beispielsweise die technische Möglichkeit, das Zahnputzverhalten mittels elektronischer Bluetooth-Zahnbürste und entsprechender Smartphone-App zu messen und an den Krankenversicherer zu übermitteln. Die Generali-Versicherung hat im November 2014 einen neuen Tarif vorgestellt, bei der Kunde mit einer App ständig sein Verhalten dokumentieren und der Versicherung mitteilen soll. Derjenige, der sich nach dem statistischen Algorithmus der Versicherung "gesünder" verhält, bekommt dann einen Bonus. Das Gebaren wird sozusagen in Echtzeit ermittelt, kann ausgewerter und sofort ökonomisch sanktioniert werden. Wo ist hier die Grenze zwischen digitaler Überwachung und legitimen Risikokalkulationen, respektive wirtschaftlichen Abwägungen?
Das ganze Leben birgt nicht kalkulierbare Risiken und endet letztlich immer tödlich. Aber was heute als gesund gilt, kann durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse morgen schon ungesund sein und umgekehrt.
Bleiben wir doch lieber tolerant!
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