Auf dem Land gehen reihenweise Hausärzte in den Ruhestand, doch es fehlt an Nachfolgern. Junge Mediziner bleiben lieber in der Stadt. Kampagnen sollen die Übernahme von Landarztpraxen attraktiver machen. Aber die Ideen fruchten nicht. Junge und alte Ärzte berichten.
Jens Abendroth ist einer, der es getan hat. Der junge Allgemeinmediziner hat eine Praxis in Oppin übernommen, einer Ortschaft mit knapp 1.500 Einwohnern in Sachsen-Anhalt. Unaufgeregt erzählt er in einem Internet-Video von seinem Alltag: Nicht mehr als acht Hausbesuche pro Woche, das sei sehr gut zu leisten. Eine sehr, sehr schöne Medizin sei es, die er dort mache, und ein sehr schönes Leben, das er dort führe, erzählt Abendroth vor der Kamera. Geräumige Praxisräume sind zu sehen, vor dem Haus steht auf einer grünen Wiese ein großer alter Baum. Der Clip ist auf der Internet-Seite von „Lass dich nieder‟ zu sehen, einer Kampagne der Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigung (KBV). Sie soll junge Mediziner ermutigen, Praxen zu übernehmen oder zu gründen – am besten in Regionen mit Unterversorgung.
„Lass dich nieder‟ ist nur eines von vielen Projekten, mit dem die Kassenärztlichen Vereinigungen dem Ärztemangel etwas entgegensetzen wollen. Und die anscheinend kaum fruchten: Die meisten jungen Mediziner sehen ihre Zukunft nach wie vor nicht in strukturschwachen Regionen, auch wenn Praxisnachfolger dort dringend gebraucht werden. Den Hausärztemangel bekämpfen sollte zum Beispiel die Initiative „Flexidoc‟ der KV Niedersachsen und der Stadt Wolfsburg. Die Idee: Nachwuchsmediziner werden zunächst in Teilzeit bei einem Seniorarzt angestellt, der dafür einige Stunden abgibt. So wird eine spätere Übergabe der Praxis vorbereitet. Wolfsburg unterstützte das familienfreundliche Modell, indem es dem Juniorpartner bei Bedarf einen Kindergartenplatz garantierte. Doch im ersten Jahr der Laufzeit fanden sich gerade einmal zwei Interessenten. In einem Fall handelte es sich um eine Kooperation von Vater und Tochter – zu der es wohl ohnehin gekommen wäre. Die KV hatte speziell Hausärzte ab 59 Jahren angesprochen, war aber auf schlechte Resonanz gestoßen. Kaum einer hatte Lust, einen Kollegen vor der potenziellen Praxisübernahme einzuarbeiten. Dabei suchen später viele verzweifelt nach einem Nachfolger. So viele, dass Christian Ottomann ein Geschäftsmodell daraus machen konnte. Über das Internetangebot seiner Landarztbörse vermittelt er den Verkauf von Praxen. Inserate sind kostenlos, die Börse verdient aber an einer breiten Palette von Serviceangeboten mit. Dazu gehören professionelle Wertgutachten, Niederlassungsberatungen und ein Maklerservice für Praxisabgeber sowie Standortanalysen, Geomarketing und eine Praxismanagmentoptimierung für Praxisübernehmer.
Einige Praxisabgeber, so sieht es Ottomann, hätten selbst eine Mitschuld daran, wenn sich kein Nachfolger findet: „Leider sitzen viele ältere Landärzte auf einem hohen Ross. Wenn das Mobiliar aus den 80ern ist, die Praxis letztmalig 1990 renoviert wurde und nicht mal eine Website existiert, müssen sich die Abgeber oftmals nicht wundern, dass ihre Praxis bei den jungen Kollegen nicht sehr attraktiv ist.‟ Eine erfolgreiche Praxisabgabe hänge aber nicht nur von der Ausstattung, sondern auch von der Haltung ab. „Viele Ärzte erwarten, dass die Patienten von alleine kommen und haben kein Praxiskonzept. Das ausbleibende Interesse wird dann unserer Beobachtung nach oft fälschlicherweise auf die Lage auf dem Land geschoben.‟
Ralf Berg ist Facharzt für Allgemeinmedizin und sucht über die Landarztbörse einen Übernehmer für seine Praxis im schwäbischen Ühlingen-Birkendorf. Berg ist erst 55, in einem Kooperationsmodell würde er vor der Übergabe gerne noch einige Jahre mit dem Nachfolger zusammenarbeiten. In seiner Annonce versucht er, seine Praxis schmackhaft zu machen: „Interessantes Kooperationsmodell mit Work/Life- Balance‟, „solider Patientenstamm‟, „überdurchschnittlicher Ertrag‟, „Zeit den schönen Südschwarzwald zu genießen,‟ heißt es dort. Dennoch findet er kaum Interessenten. Den meisten gefalle wirklich die Lage nicht, glaubt Berg. Ein potenzieller Kandidat sprang ab, als der einmal bei schlechtem Wetter in der Region war. Der „schöne Südschwarzwald‟ erschien ihm dann plötzlich doch wohl zu trist. Der Ärzteschwund auf dem Land, so erlebt es Berg, setzt sich in seiner Region ungehindert fort: „In drei bis vier Jahren bricht hier alles weg.‟ In einer benachbarten Ortschaft macht ein Kollege demnächst seine Praxis dicht. Die junge Ärztin, die er auf die Übernahme hatte vorbereiten wollen, sprang in letzter Minute doch noch ab. Wirksame Maßnahmen um gegenzusteuern vermisst Allgemeinmediziner Berg. Hausarzt-Kampagnen, die das Landarztdasein bewerben, erinnerten angesichts der Lage „an das Orchester auf der Titanic.‟
Aber nicht nur die Lebenssituation auf dem Land sei für junge Ärzte wenig attraktiv, auch die Patientenstruktur sei ein Minuspunkt, sagt Berg. „Man hat hier nun einmal viele ältere, multimorbide Patienten.‟ Deren angemessene Versorgung drohe schnell die Budgetierung zu sprengen. Im Gegensatz dazu gibt es weniger Privatpatienten als in der Stadt, die für einen Ausgleich sorgen könnten. Weil er trotzdem niemanden wegschicke, bleibe eindeutig zu wenig Zeit fürs Privatleben. „Angemessen wäre allein eine zeitbasierte Vergütung.‟ Tatsächlich gibt es laut KBV bereits zeitbasierte Vergütungsmodelle – aber nur in Regionen mit einer Unterversorgung ab 75 Prozent. Kooperations- und Teilzeitmodelle wie Berg es mit seinem Nachfolger anstrebt, könnten die Arbeit ebenfalls wirtschaftlicher machen, glaubt er: Weil so mehr Zeit bleibt, um Angebote für Privatpatienten zu schaffen. Wenn er keinen Übernehmer findet, will Berg zurück in die Stadt oder ins Ausland, vielleicht in die Schweiz.
Aber wie sehen junge Ärzte selbst das Problem? Tanja Kaneko ist 33 Jahre alt und im vierten Weiterbildungsjahr für Innere Medizin in einem Berliner Krankenhaus tätig. Sie hatte ursprünglich einmal andere Pläne: Als im ersten Semester gefragt wurde, wer sich eine Zukunft als Landarzt vorstellen könnte, hob sie noch als eine von wenigen die Hand. Nah dran zu sein an der Lebenswelt der Patienten, und rund um die Uhr für sie da, manche von Kindesbeinen an zu begleiten – all das konnte sie sich gut für sich vorstellen. Genau wie das Landleben. „Große Städte waren ohnehin nie so mein Ding gewesen.‟ Es waren fachliche Gründe, aus denen Tanja Kaneko ihre Pläne dann doch noch änderte. Sie entdeckte ihre Vorliebe für den Ultraschall als Untersuchungstechnik. Unter den, so glaubt sie, schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen auf dem Land hätten sich ein gutes Gerät und ein häufiger Einsatz nicht gerechnet. „Wenn man kein Verkäufertyp ist, stelle ich es mir in der Landarztpraxis schwierig vor und ich war zum Beispiel nie eine große Freundin der IGEL-Leistungen‟, sagt Kaneko. In der Klinik sind die Bedingungen besser. Auch Tanja Kaneko glaubt, dass Teilzeitmodelle zu zweit oder zu dritt gerade für Mütter das Landarztleben attraktiver machen können. „Es löst aber nicht das Problem des Mangels, wenn jemand keine volle Stelle ausfüllt.‟
In Thüringen werden Praxen mittlerweile zunächst durch die kassenärztliche Vereinigung übernommen. Findet sich in einem schlecht versorgten Gebiet kein Nachfolger, kauft die KV eine Praxis und betreibt sie mit angestellten Ärzten weiter, bis diese zur Übernahme bereit sind. Ein Modell, das laut KBV gut funktioniere – aber im Grunde ja nur ein letztes Mittel sein kann. Wie sieht die KBV insgesamt den Erfolg ihrer Maßnahmen? Ein Scheitern mag KBV-Pressesprecher Roland Stahl nicht eingestehen. Es zeigten sich „schon gute Erfolge‟ des Maßnahmenbündels. Man gehe aber davon aus, dass es „aufgrund der demographischen Entwicklung‟ auch in den kommenden Jahren einen Mangel an Ärzten geben werde. Und man „arbeite weiter daran‟, Ärzte für die Niederlassung zu gewinnen.