.. ist sein Himmelreich.
Seit ich in der Praxis arbeite, habe ich diesen Spruch sehr oft gedacht. Oder sogar gesagt. Heute war wieder so ein typischer Fall: In der Nachmittagssprechstunde kommt ein Patient zu mir, der das letzte Mal vor 3 Jahren die Praxis von innen gesehen hat. Auch heute hat er nur den Weg zu mir gefunden, weil seine Ehefrau ihn mehr oder weniger hierhergeschleift hat.
Was war sein Problem? Seit lt. Patient "einigen Wochen" trinke er 12 Liter oder mehr am Tag, hat ständig Durst, keinen Appetit, ist ständig müde und fühlt sich nicht. Altersmäßig ist er so Mitte 50, keinen weiteren (bekannten) Vorerkrankungen. Meine erste Vermutung ist Diabetes, also zücke ich das Messgerät. Dieses zeigt nach der Messung "Hi" an, das habe ich noch nie erlebt. Zur Sicherheit noch einmal nachgemessen. Wieder das gleiche Ergebnis. Ein Blick in die Beschreibung des Gerätes besagt, dass diese Anzeige bei Werten über 33.3 mmol/l zum Tragen kommt, der Blutzuckerwert also so hoch ist, dass er vom Gerät nicht mehr sicher bestimmt werden kann.
Sein Blutzuckerwert ist also recht sportlich. Mit anderen Worten, völlig entgleist und am Rande eines diabetischen hyperosmolaren Komas. Das ist keine Diagnose, die man gemütlich ambulant behandeln kann. Das ist eine Indikation für das Krankenhaus, und zwar pronto. Also Telefonhörer in die Hand genommen und eine Aufnahme in einem Krankenhaus der Umgebung organisiert, dass auch gleich eine Diabetologie hat, so dass sie nach der Akutversorgung die weitere Einstellung vornehmen können.
Leider hatte ich meine Rechnung ohne den Patienten gemacht. "Heute noch ins Krankenhaus?! Nee Frau Doktor, das passt mir aber gar nicht heute" Die nächsten 15 Minuten verbrachte ich damit, ihm und seiner Frau noch einmal nachdrücklich zu erklären, welche Gefahren von diesen Blutzuckerwerten ausgehen, dass generell jeder Tag mit einem nicht behandelten Diabetes zu Langzeitfolgen führen kann, abgesehen von der akuten Bedrohung durch ein diabetisches Koma. Keine Chance. Das Ende vom Lied war, dass der Patient mir im Beisein seiner Frau schriftlich bestätigte, dass er eine momentane Krankenhauseinweisung auf eigene Verantwortung ablehnt. Vielleicht stellt er sich morgen dann im Krankenhaus vor, ich hoffe es für ihn. Aber: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich."
Auch wenn es mir in meiner Medizinerseele weh getan hat, ihn unbehandelt ziehen zu lassen- seine Selbstbestimmtheit und Entscheidungsfreiheit waren mir wichtiger. Mir ist wichtig, dass am Ende der Patient selbst bestimmen kann, was mit ihm geschieht oder auch nicht. Auch und gerade wenn er sich "falsch" entscheidet.
Natürlich darf man bei diesen Entscheidungen auch die rechtliche Seite nicht außer Acht lassen- so kläre ich immer über alle Folgen einer möglichen Entscheidungen auf, auch wenn es der Patient gar nicht so gerne hören möchte. Es ist aber sein Recht, so informiert wie möglich zu sein, und meine Pflicht, ihm dabei zu helfen.
Wäre ich Patient, würde ich auch selbst die Entscheidung darüber treffen wollen, was mit mir geschieht. Und dasselbe versuche ich meinen Patienten zu zugestehen.
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