Manchmal, wenn das Wartezimmer trotz zwei Ärzten überläuft und ich kaum zum Händedesinfizieren und Luftholen zwischen den Patienten komme (mach ich natürlich trotzdem. Beides.) scherzen unsere Schwestern und ich immer, dass wir eigentlich nur einen Stapel gelber Zettel, also der Krankschreibungen, vor die Tür legen müssten und die Hälfte unserer Patienten würde gar nicht kommen. Mindestens. Natürlich gibt es noch viele Patienten, die wirklich krank sind, bzw. die man dazu drängen muss, mal eine Weile Zuhause zu bleiben und sich auszukurieren. Es gibt aber eine bestimmte Klientel, die wirklich nur den Schein möchte. Manchmal haben sie kreative Erklärungen dafür, manchmal sind sie auch einfach ehrlich. Und manchmal einfach nur dreist.
Neulich betrat ein noch recht junger Patient mein Zimmer, nennen wir ihn E. E. ist noch nicht älter als 20, würde ich denken. Noch bevor er sich hingesetzt hatte, platzte er auch schon raus: "Ey, ich brauch ne Krankschreibung."
"Ok, und warum, wenn ich fragen darf?"
"Ich hab morgen Abschlussprüfung in meiner Lehre."
"Und?"
"Naja, ich hab vergessen, dass man da was vorbereiten und vorzeigen muss."
"Aha?"
"Ja hatte keinen Bock so richtig. Aber die Krankschreibung muss auch für heute sein, und den Rest der Woche, damit das nicht so auffällig ist."
"Krankschreibungen sind eigentlich für Leute, die krank sind. Und eher nicht für Leute, die vergessen haben zu lernen..."
"Jaja, ich bin auch irgendwie krank. Und das mit den Nicht-Vorbereiten ist auch eigentlich nicht meine Schuld. Blablabla." Es folgten längere, abstruse Erklärungen, warum er sich auf morgen nicht richtig vorbereiten konnte.
Am Ende dieser Erklärung habe ich dann etwas nachgegeben:
"Nagut, aber nur für zwei Tage. Außerdem braucht man meist bei staatlichen Prüfungen für ein Nicht-Erscheinen nicht nur so einen gelben Zettel."
Strahlend erwiderte E.: "Ach ist doch egal, wird schon gehen. Das ist echt voll korrekt von Ihnen."
"Wie gesagt, ich finde das nicht ok, das passiert jetzt nur einmal und außerdem glaube ich immer noch, dass der gelbe Zettel nicht ausreichen wird..."
"Ach das wird schon gehen. Aber arbeiten in meinem Betrieb kann ich doch trotzdem, ne?"
"Sie sind krankgeschrieben"
"Ja aber geht doch, oder? Sonst nehme ich halt zwei Tage Urlaub.."
"Sie sind krankgeschrieben! Da kann man nicht arbeiten gehen und auch keinen Urlaub nehmen, sonst müsste man ja nicht krankgeschrieben sein!"
"Hm. Ok." Mit diesen Worten sprang E. fröhlich auf und verließ mein Zimmer, um draußen seinen heiß ersehnten Zettel entgegen zu nehmen.
Und ich saß in meinem Zimmer und habe mich etwas geärgert. Einmal über die Dreistigkeit von E., dann auch über mich, dass ich mich nicht geweigert habe, aber einerseits wäre er dann schnurstracks zum nächsten Arzt gezogen, andererseits bin ich immer noch "die Neue" und möchte mich nicht gleich mit Patienten, die ich noch überhaupt nicht kenne, anlegen und unbeliebt machen.
Die Frage nach dem gelben Zettel ist und bleibt eine schwierige, aber vielleicht wird das ja mit den Jahren besser. Oder man stumpft ab, wer weiß?
Titelbild: Reilly Butler /flickr / CC by-sa