Was erwartet einen im Studium? Wie sehen die ersten Wochen vor den Klausuren, wenn die Welt noch in Ordnung ist, aus? Für mich war es eine sehr entspannte Zeit. Rückblickend wohl die Ruhe vor dem Sturm.
Ein Beginn ist noch kein Anfang Voller Vorfreude erwartete ich die ersten Wochen des Studiums. Ok, das ist gelogen, ich geb es zu. Ich wusste ja bereits von meinem Freund, dass es eine Orientierungseinheit geben würde. Normalerweise bin ich zwar kein großer Freund von solchen Einführungssachen, aber am Anfang des Studiums ist es schon eine gute Sache ein paar Leute kennen zu lernen, und sich entscheiden zu dürfen mit wem man in eine Kohorte möchte. Leider fiel unsere Orientierungseinheit auf eine Woche in der ein Feiertag war. Das hieß für uns: Leute auswählen bevor wie sie kennen lernen konnten. Den Rest der Woche verbrachte ich damit die Leute besser kennen zu lernen, die ich leider nicht für meine Kohorte gewählt hatte, und den Weg zu Orten wieder zu vergessen, zu denen ich demnächst ziemlich sicher wieder hinmusste. Danach folgte der Chemie Crashkurs der die Grundlagen noch einmal auffrischen sollte. Ich war den ersten Tag anwesend. Bis zur Mittagspause. Ich bin dann direkt nach Hause gegangen und hab den Rest der Woche mit meinem Freund und Videospielen verbracht. Ich musste zugeben, so gefiel mir das Studium. Ich weiß, dass das ziemlich faul klingt, aber hier schiebe ich einfach mal die Schuld auf meinen Freund. Er hatte mir von den Chemie Klausur berichtet und meinte den Crashkurs müsse ich mir "um Himmelswillen nicht antun".Endlich Vorlesungen! Zu den Vorlesungen war ich schon motivierter. Anatomie hörte sich für mich super spannend an und Biologie, Chemie und Physik konnten so schlimm ja auch nicht sein. Auch, dass die ersten Vorlesungen schon um acht Uhr morgens begannen und ich so kurz vor 6 aufstehen musste, konnten mich als Frühaufsteher nicht schrecken. Ich setzte mich voll freudiger Erwartung in den Hörsaal und versuchte fleißig Notizen zu machen. Mit einem gefüllten Collegeblock kam ich nach Hause, heftete alle Notizen in bunte Ordner und war bereit voller Motivation morgen so weiter zu machen. Am nächsten Morgen saß ich wieder pünktlich vor acht in der Vorlesung. Ich schlief dann so gegen halb neun. Ich wachte kurz auf als die Vorlesung zu Ende war, und döste gegen Anfang der nächsten Vorlesung wieder ein. Ich war noch nie in meinem Leben mitten am Tag bei etwas eingeschlafen, wo man normalerweise nicht schlafen sollte. Es gab zwei Möglichkeiten: Ich war alt geworden, oder aber Vorlesungen waren nichts für mich. Ich versuchte es die restliche Woche weiter, aber da ich es keinen Tag lang geschafft hatte wach zu bleiben und das, trotz arger Anstrengungen und Kaffeeüberdosierungen, gab ich letztendlich auf. Ich holte mir einige Bücher die mir optisch zusagten aus der Bibliothek und nahm mir fest vor den Vorlesungsstoff jeden Tag zu Hause nachzulesen und aufzubereiten. Das tat ich dann auch fleißig; etwa drei Tage lang. Danach machte ich es wann immer mir der Sinn danach stand.Wie reagiert man auf eine Leiche? Nach ungefähr vier Wochen kam dann der Tag an dem wir zum ersten Mal in den Präparationssaal und im Rahmen der makroskopischen Anatomie Leichen auseinander nehmen sollten. Ich war schon sehr aufgeregt. Eigentlich war ich der Meinung, dass ich mit so etwas gut klar kam, allerdings hatte mein Freund erzählt, dass sogar ihm kurz komisch wurde, kurz bevor sie die Tücher von den Körpern nahmen. Am besagten Tag wuselten wir alle, ungefähr 200 Studenten in Richtung der Anatomie. Als ich die Türen mit den Glasscheiben sah, fiel mir auch wieder ein, was mein Freund noch erzählt hatte. Es sei wohl normal, dass jedes Jahr mindestens eine Person in der ersten Stunde der makroskopischen Anatomie beim ersten Anblick der Leichen in Ohnmacht fällt; hoffentlich würde das nicht ich sein. Nach einer kurzen Einführung des, zuerst sehr angsteinflößend wirkenden Präparationsassistenten, der wie der unangefochtene Regent dieses Saals wirkte, begaben wir uns an die uns zugewiesenen Tische. Die meisten dort waren aus meiner Kohorte und inklusive der Tutoren waren wir fast ausschließlich Mädchen. Die Tücher wurden gehoben und der Körper lag vor uns. Es war ein Mann. Die Reaktionen innerhalb unserer Gruppe gingen auseinander. Einige murmelten etwas ihrem Nebenmann ins Ohr, andere schauten interessiert, einer kamen die Tränen und sie wich zurück. Ich, für meinen Teil, war unheimlich fasziniert und fasste ohne zu zögern seinen Arm an. Seine Haut war so gelblich verfärbt durch das Konservierungsmittel, dass er kaum noch wie ein richtiger Mensch wirkte, aber er fühlte sich trotz der Kälte des Fleisches noch fast genau wie einer an. Uns wurde erklärt, dass die Körperspender, meist Menschen waren, die auch wissenschaftlich begeistert waren, und uns so die Chance geben wollten zu lernen. Von mir war nun jegliche Nervosität abgefallen. Ich sah den Körper vor mir nicht mehr als Leiche sondern als Mensch der wollte, dass ich an ihm lerne, und es wäre respektlos sich davon abhalten zu lassen. Die nächsten Wochen verbrachte ich gerne im Präp-Saal. Ich mochte die handwerkliche Arbeit. Das war endlich einmal nicht so viel Theorie, sondern nur schneiden, ziehen und schaben. Man konnte den Kopf abschalten und einfach entspannen, Yoga konnte dagegen einpacken. Ich tat dies auch oft am Wochenende im freien Präparieren, da unsere Gruppe dem Präparationsplan etwas hinterher hinkte. Ich bin mir gar nicht sicher, wie viel ich wirklich durch die Arbeit am Körper direkt gelernt habe, das meiste Wissen habe ich mir auch zu Hause am Prometheus angeeignet, aber ich bin mir sicher, dass mich der Kurs und der Lernstoff ohne die Praxis nie so sehr interessiert und in seinen Bann gezogen hätte, wie er es bis heute tut. Und eine Person war auch bei uns umgefallen. Den Rat, Anderen vorher Bescheid zu sagen, hatte sie wohl nicht so ernst genommen.