..., den bestraft das Sexualleben. Aber wann hat Mann eigentlich eine Ejaculatio praecox? Untertitel: falsche Vorbilder.
"Ich hab' da ein Problem"
Dem jungen Mann (19 J.) , der vor mir in unserer andrologischen Sprechstunde sitzt, ist das Thema sichtlich peinlich. Gleichzeitig merkt man, dass ein enormer Leidensdruck auf ihm lastet. Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
"Was kann ich für Sie tun?" frage ich und versuche möglichst viel Empathie in meine Stimme zu legen.
"Naja, ich komme immer zu früh", gesteht er schließlich.
Die Ejaculatio praecox, also vorzeitiger Samenerguss ist die häufigste Sexualstörung des Mannes und wird als Unfähigkeit definiert, den Zeitpunkt des Samenergusses so zu steuern, dass auch die Partnerin zum Orgasmus kommt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Zeit von der Penetration bis zum Samenerguss als zu kurz wahrgenommen wird und dadurch ein erheblicher Leidensdruck entsteht, der durch Angst, Frustration, Probleme in der Partnerschaft oder den Verzicht auf Sex hervorgerufen wird. In der Regel kommt es innerhalb einer Minute nach Eindringen des Penis in die Vagina zur Ejakulation. Bis zu 30% aller Männer sollen irgendwann im Laufe ihres Lebens davon betroffen sein, was einer Pathologisierung des männliches Orgasmus nahe kommt. Und seit ein paar Jahren gibt es tatsächlich ein speziell für diese Indikation zugelassenes Medikament: der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Priligy® mit dem Wirkstoff Dapoxetin als Bedarfsmedikation. Eine der häufigsten Nebenwirkung laut Fachinformation: Übelkeit. (Wenn man gemein wäre, könnte man sagen: Ich könnte länger, wenn mir nicht so schlecht wäre.) In den Zulassungsstudien steigt die Zeitdauer bis zur Ejakulation im Mittel von eingangs 0,9 Minuten auf 1,8 Minuten unter Placebo und nach Einnahme von 30 mg bzw. 60 mg Dapoxetin auf 2,8 Minuten, respektive 3,3 Minuten an. Als Dauermedikation eingenommene, niedrig dosierte Antidepressiva wie Clomipramin sind im indirekten Vergleich, Paroxetin auch im direkten Vergleich wirksamer, jedoch bei vorzeitiger Ejakulation nicht zugelassen. Die Abbruchrate in den Dapoxetin-Studien war mit bis zu 47%, überwiegend aus unklaren Gründen, extrem hoch.
Ich forsche weiter nach: "Wie lange dauert es denn bei Ihnen bis zum Samenerguss?"
"Nun, wenn ich besonders erregt bin, kann es sein schon nach fünf Minuten. Manchmal aber auch nach zehn oder fünfzehn."
"Mit oder ohne Vorspiel?"
"Ohne", präzisiert er.
Klingt irgendwie normal.
"Schaffen Sie es denn Ihre Freundin zu befriedigen."
"Nicht immer. Meist nur, wenn sie auf mir sitzt. Dann halte ich auch länger durch. Ganz schlimm ist es bei Doggy Style. Oder, äh, wenn ich mir einen runter hole."
Klingt immer noch normal.
"Hmmm. Hat sich Ihre Freundin denn deswegen schon einmal beklagt?" will ich wissen. "Ist es für die auch ein Problem?"
"Nein", gibt er zu. "Aber wahrscheinlich will sie mich nur nicht verletzen."
Ist doch nett! denke ich und frage: "Haben Sie denn das Thema angesprochen?"
"Nö, war mir zu peinlich. Außerdem hatte ich Angst vor der Antwort."
"Was veranlasst Sie denn, zu glauben, Sie hätten einen vorzeitigen Samererguss?"
Der junge Mann läuft rot an. "Äh, manchmal wenn meine Freundin nicht da ist, gucke ich gelegentlich Pornos."
"Und?" Mir schwant Arges.
"Die Typen darin können alle länger als ich. Bis zu einer halben Stunde mit jeder Menge Stellungswechseln und so."
"Und Sie denken, das ist die Norm."
"Nicht?"
Ich hole tief Luft. "Glauben Sie eigentlich, die drehen so eine Szene an einem Stück?"
"Was sonst?" Er schaut mich erstaunt an.
"Na, zum Beispiel in mehreren Einstellungen mit Unterbrechungen. Allein schon zum Ausleuchten und so. Über mehrere Stunden verteilt, wenn nicht sogar einem ganzen Tag. Außerdem benutzen die Hilfmittel."
"Sie meinen echt, die schummeln beim Pornofilm?"
"Wenn Sie so wollen, ja." bekräftige ich. "Was sonst!"
"Und bei mir ist alles normal."
"Klar."
Der junge Mann atmet sicht- und hörbar auf. Er grinst.
"Danke, Herr Doktor."
"Gern geschehen."
Eine weitere Heldentat der Liebe.
Literatur:
Buvat J, Tesfaye F, Rothman M, Rivas DA, Giuliano F. Dapoxetine for the treatment of premature ejaculation: results from a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 trial in 22 countries. Eur Urol (2009) 55: 957–68
Pryor JL, Althof SE, Steidle C, Rosen RC et al. Efficacy and tolerability of dapoxetine in treatment of premature ejaculation: an integrated analysis of two double-blind, randomised controlled trials. Lancet (2006) 368: 929-933
Titelbild: © Tim Reckmann / PIXELIO