Von A wie Androgendeprivation bis Z wie Zervixkarzinom, das Internet bietet zu vielen medizinischen Themen eine nicht überschaubare Fülle an mehr oder weniger fundierten Informationen. Nicht immer zum Vorteil der Patienten.
Im Medizinstudium gab es vereinzelt Kommilitonen, die am Morbus clinicus litten: Diese bedauernswerten Kollegen hörten in einer Vorlesung von einem Krankheitsbild und, egal wie abstrus diese Überzeugung war, verließen den Hörsaal in dem Bewustsein: Das habe ich auch. So erinnere ich mich an einen Mitstudenten, der nach dem mikrobiologische Praktikum fürchtete, an einer Malaria zu leiden, obwohl er nie den den Tropen gewesen war, und sich sofort entsprechend untersuchen ließ.
Morbus clinicus. Aber wissen Sie auch was Cyberchondrie ist? Wikipedia definiert dieses Krankheitsbild als "pathologischen Zustand beim Menschen, bei dem hypochondrische Tendenzen durch Informationen aus dem Internet ausgelöst oder verstärkt werden".
Tatsächlich ist es - Google sei Dank - heutzutage einfacher denn je, unzählige Informationen zu praktisch jedem x-beliebigen Symptom oder jeder Diagnose zu finden. Dies kann gelegentlich ein ärztliches Aufklärungsgespräch erschweren, wenn Patienten einen dicken Stapel Ausdrucke aus dem Internet mitbringen und uns teils mit fundiertem Fachwissen, teils aber auch mit dem Wunsch oder Fragen zu haarsträubenden alternativen Behandlungsmethoden konfrontieren, die es dann im Gespräch zu sichten gilt. Zu diesem Thema habe ich schon 2011 einen Blog-Beitrag veröffentlicht. Wirklich problematisch jedoch wird diese ungefilterte, unbewertete, teils subjektive und für den medizinischen Laien nicht immer verständliche, wenn nicht sogar irreführende und mitunter kommerziell gefärbte Informationsflut für Menschen, die zu Krankheitsängsten oder sogar Hypochondrie neigen. Geben Sie Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Fingerkribbeln in eine Suchmaschine ein und Sie werden schnell bei Krankheiten wie Hirntumoren oder Multipler Sklerose landen. Wer entsprechend veranlagt ist, wird so seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt finden, erst recht wenn er dann noch in Laien-Foren auf dramatische Schilderungen von Krankheitsverläufen stößt. So schürt das Internet als sprudelnde Quelle die Angst, statt zu beruhigen, indem echte oder vermeintliche Symptome falsch interpretiert werden können. Zwar macht der Cyberspace niemanden zum Hypochonder, eine entsprechende Veranlagung kann jedoch bestärkt werden.
Laut der Studie "eHealth-Trends in Europe 2005-2007: A Population-Based Survey" [J Med Internet Res 2008; 10(4):e42] informieren sich 55% der Deutschen bei Krankheitssymptomen zunächst einmal online, bevor oder anstatt dass sie den Arzt aufsuchen, und belegen damit den dritten Rang hinter Norwegern und Dänen. Natürlich erkrankt nicht jeder, der sich im Internet zu medizinischen Themen informiert, an Cyberchondrie. Doch ohne Fachwissen führt die unüberschaubare Fülle an Informationen schnell zur Verunsicherung oder Fehldiagnose, zumal man sich schnell von harmlosen zu schweren Erkrankungen weitergeklickt hat und auch zu seltenen Krankheiten mehr Beiträge findet, als es deren Häufigkeit entspricht. Die Microsoft-Sudie "Cyberchondria: Studies of the Escalation of Medical Concerns in Web Search" [http://research.microsoft.com/apps/pubs/default.aspx?id=76529] kommt daher auch zu dem Schluss, dass den Programmieren von Suchmaschinen eine besondere Verantwortung obliegt, damit Nutzer nicht durch die Ranking-Algorythmen der Datenbanken und deren Defintion von Relevanz verunsichert werden.
Cyberchondrie ist nichts Lächerliches, sondern für die Betroffenen ein ernsthaftes, belastendes Problem, das therapeutischer Hilfe bedarf.
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